Tropennacht am Sämtisersee knapp verfehlt

Fällt die Temperatur zwischen 18 UTC und 06 UTC des Folgetages nicht unter 20 °C, so wird in der Meteorologie von einer Tropennacht gesprochen (vgl. Wetterlexikon Deutscher Wetterdienst). Im Mittel treten in der Schweiz 0.1 bis 1 Tropennacht pro Jahr auf. Eine Ausnahme bilden die Niederungen des Tessins , die Genferseeregion sowie einige Föhntälern (vgl. auch Fachbericht MeteoSchweiz Nr. 260: Der Hitzesommer 2015 in der Schweiz). Hier treten Tropennächte häufiger auf, im Tessin sind es in den tiefgelegenen Regionen im Schnitt bis zu 10 Stück pro Jahr.

In der jüngeren Vergangenheit wurden diese Durchschnittswerte in zwei Jahren deutlich übertroffen:

  • Im Hitzesommer 2003 wurden im Tessin zum Teil über 40 Tropennächte registriert, in der Genferseeregion gab es 20 Fälle, in der Nordwestschweiz (Fahy, Basel) 5 Fälle und in erhöhten Lagen des Mittellandes und der Voralpen zwischen 7 und 12 Fälle.
  • 2015 war der zweitwärmste Sommer seit Beginn systematischer Wetteraufzeichnungen im Jahr 1864. Während im Tessin deutlich weniger Tropennächte registriert wurden als 2003, traten solche in den Niederungen der Alpennordseite häufiger auf. So wurden in Zürich 2003 nur 2 Tropennächte registriert, im Jahr 2015 jedoch deren 8.

Wie sich die Situation in den Kaltluftseen im Alpstein in diesen Jahren bezüglich der nächtlichen Minima präsentiert hat, ist mangels entsprechender Messungen nicht bekannt. Man könnte jedoch davon ausgehen, dass man lauen Sommernächten in einem Kaltluftsee Abkühlung findet (es sei denn, der Föhn bläst – aber das ist ein anderes Thema…).

Dass dem nicht so ist, hat der vergangene Juni gezeigt. Es war der zweitwärmste Juni seit Beginn der systematischen Aufzeichnungen im Jahr 1864. Der Wärmeüberschuss betrug in allen Höhenlagen 3 – 3.5 °C gegenüber der Referenzperiode 1981 – 2010 (vgl. MeteoSchweiz: Klimabulletin Juni 2017).

Ungewöhnlich warm war die Nacht vom 22. auf den 23. Juni. An verschiedenen Orten wurde das höchste Nachtminimum seit Beginn der automatischen Messungen Anfang der 1980er Jahre registriert. Besonders in der Ostschweiz war es sehr mild: In Güttingen wurde ein Minimum von 25.2 °C, in St. Gallen sank die Temperatur nicht unter 23.2 °C ab und auf dem Hörnli wurden 20.5 °C als Tiefstwert registriert. Verhältnismässig kühl war es in Ebnat-Kappel, wo “nur” 17.1 °C gemessen wurde.

Neben der ausserordentlich warmen Luftmasse waren Wolkenfelder über der Ostschweiz, welche eine effiziente Abstrahlung verhinderten, für die ausserordentlich hohen Minimaltemperaturen verantwortlich. (vgl. auch MeteoSchweiz Blog vom 23.06.2017: Rekordhohe Nachttemperaturen).

Ansatzweise sind Wolkenfelder über der Schweiz erkennbar, welche zusammen mit der sehr warmen Luftmasse für rekordhohe Minima der Lufttemperatur gesorgt haben. (c) sat24.com / Eumetsat / UK MetOffice
Die nachfolgende Abbildung zeigt den Temperaturverlauf am Sämtisersee (gelb), an erhöhter Lage am Rand der Senke der Alp Sämtis (orange) sowie in der Senke auf der Alp Hintergräppelen (blau).

Transparent rot ist der Zeitraum zwischen 18 und 06 UTC dargestellt, welcher gemäss Definition des DWD relevant für die Bestimmung einer Tropennacht ist, der Schwellwert von 20 °C ist als rote Linie eingezeichnet.

Auf der Alp Hintergräppelen herrschten zwischen 19 UTC (entspricht 21 Uhr MESZ) und 21:30 UTC offenbar gute Abstrahlungsbedingungen, welche die Temperatur um mehr als 7 K auf 14.9 °C absinken liess. In diesem Zeitfenster hat der Kaltluftsee gut funktioniert, bevor die Temperatur anschliessend innerhalb einer Stunde wieder um mehr als 6 Grad anstieg. In der zweiten Nachthälfte sank die Temperatur zwischenzeitlich nochmals auf 18.9 °C.

Am Sämtisersee waren die Abstrahlungsverhältnisse vor Mitternacht weniger gut ausgeprägt: Es bildet sich nur kurzzeitig eine Inversion von gut 2 K aus: Die Temperatur unten in der Senke fällt knapp unter die 20 °C-Marke ab, steigt aber umgehend wieder an. Im weiteren Verlauf der Nacht sinkt die Temperatur kurz vor 4 UTC (entspricht 6 Uhr MESZ) nochmals kurzzeitig auf 18.8 °C ab.

Stark bewölkter Himmel über dem Alpstein kurz vor 6 Uhr am Morgen des 23. Juni 2013. Zu diesem Zeitpunkt wurde am Sämtisersee der nächtliche Tiefstwert von 18.8 °C gemessen – eine Tropennacht wurde knapp verfehlt. © Bild: www.hoherkasten.ch / www.plattenboedeli.ch
Auch wenn der Juni durch sehr hohe Temperaturen geprägt war, Abkühlung liess sich zum richtigen Zeitpunkt dennoch finden: In der Nacht vom 7. auf den 8. Juni sank die Temperatur am Sämtisersee auf + 1.2 °C ab und auf der Alp Hintergräppelen wurde in der gleichen Nacht ein ordentlicher Frost von -4.5 °C registriert.

 

Die Folgen des Aprilwinters?

Der Frühling hat nun definitiv Einzug gehalten und die Spuren dieses hartnäckigen Aprilwinters bis in grössere Höhen hinauf getilgt. Mit einer Ausnahme – dazu mehr am Ende dieses Artikels.

Sämtisersee

Am vergangenen Auffahrtsmorgen zeigte er sich von seiner schönsten Seite. Ein Schauer in der Nacht verhinderte eine stärkere Abkühlung und feuchtete zusammen mit dem Sämtisersee die Luft an, was zur Bildung von einzelnen Nebelschwaden führte:

Nebelschwaden über dem Sämtisersee

Bei einer Lufttemperatur von gut 9 °C, Windstille und einer intensiven Sonnenstrahlung liess es sich im T-Shirt bestens aushalten.

Noch vor etwas mehr als einem Monat wäre dieses Outfit nicht wirklich angebracht gewesen. Am Sämtisersee lag eine dicke Schneedecke und am Morgen des 21. Aprils war zum letzten Mal in dieser Saison die partielle Ausbildung einer Eisschicht zu beobachten:

Eisschicht auf dem unteren rechten Drittel des Sämtisersees am Morgen des 21. April 2017

Zuvor war der Sämtisersee am 23. März ein erstes Mal komplett eisfrei, nachdem die Eisdecke am 4. März grossflächig aufgebrochen war. Der Schneefall vom 7. März sowie die nachfolgende kalte Nacht, welche das Monatsminimum von -13.3 °C gebracht hat, lieferten die Voraussetzungen, dass der See nochmals kurz zufror.

Insgesamt war der März am Sämtisersee ausserordentlich mild. An keinem einzigen Tag blieb die Temperatur ganztags unter 0 °C, an immerhin 19 Tagen wurden Minimaltemperaturen von unter 0 °C verzeichnet.

Der April knüpfte temperaturmässig dort an, wo der März aufgehört hatte – allerdings nur bis zur Monatsmitte, dann kam der Winter mit aller Macht zurück. Die 20 Frostwechseltage sind dabei weniger erstaunlich als die Tatsache, dass die vier Eistage allesamt in der zweiten Monatshälfte zu verzeichnen waren. Das Monatsminimum von -13.5 °C war um 0.2 K tiefer als dasjenige vom März und dass die monatliche Durchschnittstemperatur um ganze 1.1 K tiefer als im Vormonat lag, dürfte aussergewöhnlich sein.

Im bald zu Ende gehenden Mai gab es bisher noch 5 Tage mit Luftfrösten (letztmals am 20. Mai). Die Tagesmaxima lagen ab dem 10. Mai regelmässig über 15 °C, am 17. Mai wurde erstmals in diesem Jahr die 20 °C-Marke erreicht.

Hintergräppelen

Im Kaltluftsee auf der Alp Hintergräppelen lag das Monatsmittel im März gut 2 K tiefer als am Sämtisersee. Am 7. März gab es den einzigen Eistag des Monates und am darauffolgenden Morgen wurde das Monatsminimum von -20.0 °C registriert. An zwei weiteren Tagen traten Minima von unter -10 °C auf.

Wie auch am Sämtisersee war die Temperaturentwicklung im April absolut ungewöhnlich. Üblicherweise ist im März und im April durch die Einstrahlung bedingt eine starke Zunahme der Temperatur zu beobachten, einzelne Kälterückfälle können immer wieder beobachtet werden. Ausmass und Dauer der Kälteperiode in der zweiten Aprilhälfte dürften jedoch – auch ohne, dass Vergleichswerte aus dem Gebiet vorliegen – aussergewöhnlich sein. Die Monatsmitteltemperatur lag um 0.3 K tiefer als diejenige vom März. Das Monatsminimum von -27.3 °C sowie fünf weitere Tage mit Minima von unter -10 °C traten allesamt in der zweiten Monatshälfte auf:

Während am Sämtisersee im zu Ende gehenden Mai noch 5 Frosttage registriert wurden, waren es in Hintergräppelen 16 Tage mit Luftfrost (Stichtag: 25. Mai):

Zum Schluss eine Beobachtung aus dem Kaltluftsee der Alp Hintergräppelen: Die meisten Fichten in der Senke weisen eine starke bis komplette Rotverfärbung der Nadeln auf und  teilweise sind die verfärbten Nadeln bereits abgefallen. Die Obergrenze dieser Rotverfärbung fällt ungefähr mit dem oberen Rand der Senke zusammen.

Am plausibelsten erscheinen mir die Erklärungen, welche in der Publikation von aufgeführt sind:

  • Die Frosthärte der Fichte unterliegt einer jahreszeitlichen Schwankung, die kritische Temperatur liegt zwischen -5 und -37 °C.
  • Bereits nach einigen warmen Tagen im Winter beginnt die Enthärtung, die Bäume werden gegenüber Kälteeinbrüchen verwundbar.
  • Je nach Stärke der Frosteinwirkung sind nur die Nadelspitzen des jüngsten Nadeljahrgangs betroffen, bei starken Einwirkungen kann die gesamte Krone betroffen sein.
  • Prinzipiell wird zwischen drei Schädigungsformen unterschieden:
    • Erfrierungsschäden treten auf, wenn die Temperatur unter die aktuelle Frosthärte der Fichte absinkt.
    • Frostwechselschäden treten bei häufigem Auftauen und Wiedergefrieren auf, die Folgen sind mit denjenigen bei tiefen Temperaturen vergleichbar.
    • Frosttrocknis tritt auf, wenn wegen starker Sonneneinstrahlung die Fichte über die Krone Wasser verdunstet, während der gefrorene Boden das Defizit nicht ausgleichen kann.
  • Nadelverrötungen treten im Schnitt alle 10 Jahre auf, das letzte grössere Ereignis wurde im  Winter 1986/87 in der Zentral- und Ostschweiz registriert.
  • So dramatisch das Schadensbild aussieht: Die Bäume haben eine erstaunliche Regenerationsfähigkeit und erholen sich in den Folgejahren, nur verhältnismässig wenige Bäume sterben ab. Die Schwächung macht die Bäume jedoch anfällig auf Borkenkäferbefall.

Zwischen dem 17. März und dem 18. April wurden auf der Alp Hintergräppelen keine Temperaturen mehr unter -10 °C registriert. Zwar traten starke tägliche Temperaturschwankungen auf: Frostwechseltage mit z.T. mehr als 20 K Temperaturdifferenz sind jedoch in den Übergangsjahreszeiten in einem ausgeprägten Kaltluftsee keine aussergewöhnlichen Erscheinungen, vermutlich sind die Bäume diese Schwankungen gewohnt. Der plötzliche Kälteeinbruch, welcher die Temperatur auf bis zu -27.3 °C absinken liess (vgl. auch Es lächelt der Kaltluftsee, er ladet zum Bade…) und die gleichzeitig starke Sonnenstrahlung dürften wahrscheinliche Gründe für die Nadelverrötung sein.

Als forstkundlich nur mässig bewanderter Zeitgenosse bin ich für Präzisierungen und Berichtigungen dankbar!

Literatur:

Engesser, Roland, Beat Forster, and Werner Landolt. 2002. “Frostschäden an Nadelbäumen Im Winter 2001/2002 Und Deren Folgen | Frost Damage to Conifers in Winter 2001/2002 and Its Influence on Tree Development.” Schweizerische Zeitschrift Fur Forstwesen 153 (12): 471–75. https://doi.org/10.3188/szf.2002.0471.

 

 

 

Es lächelt der Kaltluftsee, er ladet zum Bade…

Was für eine Saisondernière! Nachdem seit Februar mehr oder weniger konstant Temperaturen registriert wurden, welche zum Teil massiv über dem für die Jahreszeit üblichen Durchschnitt lagen, hat sich der Winter in weiten Teilen von Zentraleuropa nochmals mit aller Macht zurück gemeldet. Am 20. und 21. April 2017 wurden an einigen Orten langjährige Rekordwerte unterboten.

Weil die Jahreszeit schon einigermassen fortgeschritten ist (die Tageslänge entspricht derjenigen von Ende August), musste der gemeine Kälteliebhaber früh in die Strümpfe und im Frühreif zu Berge ziehen.

Von oben zeigt sich der Kaltluftsee von seiner besten Seite – ein kleines Nebelchen deutet an, dass es dort unten in der Senke nochmals massiv kälter sein muss als hier oben, ca. 50 m über dem Boden des Kessels:

Das folgende Video macht die Temperaturumkehr anschaulich:

Am oberen Rand der Senke betrug die Temperatur etwa -8 °C, am Boden des Talkessels konnten mit einem Handthermometer eher frische -21.4 °C registriert werden.

Und so sah der Nebelschleier von unten aus:

Die über den Horizont steigende Sonne briet den Nebelschleier innerhalb von Minuten förmlich weg.

An den Hängen waren typische Schmelzrinnen zu erkennen, welche sich durch die starke Sonneneinstrahlung am Vortag gebildet hatten:

An der festinstallierten Station wurde ein Minimum von -21.8 °C registriert. Am Vortag sank die Temperatur sogar auf -27.3 °C:

Weshalb war es am Vortag mehr als 5 Grad kälter? Zwei Gründe stehen im Vordergrund:

  • Die freie Atmosphäre hat sich etwas erwärmt: An der SMN-Station Hörnli wurde am 21. April ein Minimum von -3.6 °C gemessen, am Vortag waren es noch -6.0 °C
  • Die Setzung des Schnees hat die Isolationswirkung gegen den Bodenwärmestrom reduziert – die Regel, dass die erste klare Nacht nach einem Schneefallereignis die kälteste ist, hat sich wieder einmal bewahrheitet…

Noch ein kleines Detail am Rande: Die bisher höchste Temperatur in diesem Monat wurde am 9. mit 16.7 °C registriert, das bisherige Minimum wie erwähnt am 20. mit -27.3 °C. Das entspricht einer Amplitude von 44 K:

Monatstabelle Hintergräppelen April 2017

 

Im Januar 2017 war die Amplitude mit 44.1 K (Minimum -38.2 °C, Maximum 5.9 °C) praktisch gleich gross.

Schweizweit tiefste Temperaturen des Winters 2016/17 im Alpstein gemessen

Am 6. und 7. Januar 2017 wurden die tiefsten Temperaturen des zu Ende gehenden Winterhalbjahres gemessen. Zwei Stationen im Alpstein führen die Liste der kältesten Orte der Schweiz an.

Einfliessende arktische Kaltluft liess die Temperatur am Abend des 6. Januar 2017 auf der Alp Hintergräppelen im Obertoggenburg bis auf -38.2 °C sinken (vgl. -38.2 °C in Hintergräppelen – die Messlatte ist gesetzt und Endlich ist der Winter da!). In der gleichen Nacht wurde am Sämtisersee ein Minimalwert von -33.4 °C registriert.

Die Alp Hintergräppelen am Vormittag des 6. Januar 2017.
Auf der Alp Hintergräppelen wurden an 5 Tagen im Januar -30 °C erreicht oder unterschritten. Zum Vergleich: In La Brévine betrug der Tiefstwert dieses Winters -29.9 °C.

Gleich kalt wie am Sämtisersee wurde es auf der Glattalp im Kanton Schwyz. In der Combe des Amburnex im Waadtländer Jura war es mit -33.0 °C nur unwesentlich wärmer. La Brévine, die kälteste bewohnte Ortschaft der Schweiz, hat die Marke von -30 °C knapp verfehlt.

In den Hochlagen der Berner und Walliser Alpen wurden die tiefsten Temperaturen am 17. Januar gemessen. Ein Vorstoss hochreichender Polarluft führte auf dem Kleinen Matterhorn zu einem Tiefstwert von -30.2 °C, auf dem Jungfraujoch wurden -27.6 °C gemessen.

Die Spitzenreiter aus den Messnetzen von kaltluftseen.ch, Agrometeo, MeteoSchweiz und MeteoGroup sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt:

TiefstwertMessortDatumMessnetzbetreiber
-38.2 °CHintergräppelen / SG6.1.2017www.kaltluftseen.ch
-33.4 °CSämtisersee / AI7.1.2017www.kaltluftseen.ch
-33.4 °CGlattalp / SZ6.1.2017MeteoGroup
-33.0 °CCombe des Amburnex / VD6.1.2017Agrometeo
-30.2 °CKl. Matterhorn / VS17.1.2017MeteoGroup
-29.9 °CLa Brévine / NE6.1.2017MeteoSchweiz
-27.6 °CJungfraujoch / VS17.1.2017MeteoSchweiz
-26.9 °CGais / AR7.1.2017MeteoGroup
-26.9 °CCorvatsch / GR6.1.2017MeteoSchweiz
-26.2 °CSamedan / GR 7.1.2017MeteoSchweiz
-25.9 °CBuffalora / GR7.1.2017MeteoSchweiz
-25.2 °CRothenthurm / SZ7.1.2017MeteoGroup

 

Der Föhn: Ein häufiger Spielverderber am Sämtisersee

Föhn und Kaltluftseen vertragen sich etwa so gut wie dies sprichwörtlich Hund und Katze tun. Mein Eindruck ist subjektiv (entsprechende Messungen fehlen), aber eindeutig: Am Sämtisersee hat der Kaltluftsee eigentlich keinen Stich gegen den Föhn, wenn er (und das tut er oft) vom Rheintal her mit Macht über die Stauberenkette drängt, bei der Saxerlücke sein grösstes Einfalltor findet und dann der Talachse entlang durch die Alp Sämtis pfeift.

Bei meiner vorletzten Auslesung der Datenlogger am 20. November 2016 sah das so aus (unbedingt mit Ton anschauen!):

Mangels Messungen darf spekuliert werden: Ein Mittelwind von 7 Bft (50 – 61 km/h)  würde ich als absolute Untergrenze annehmen, vermutlich war die Windgeschwindigkeit noch höher.

Betrachten wir den Temperaturverlauf am Sämtisersee (blaue Kurve = Station unten in der Senke, orange Kurve = Nebenstation auf Höhe des Überlaufpunktes) und auf der Alp Hintergräppelen (graue Kurve = Station unten in der Senke):

Am Abend des 19. Novembers 2016 beginnt sich am Sämtisersee ein Kaltluftsee auszubilden, die Inversion ist jedoch nur schwach. Kurz vor 20 Uhr UTC setzt Föhn ein, die Temperatur steigt markant an und die Inversion wird ausgeräumt.

Auf der Alp Hintergräppelen bricht der Föhn mit Verzögerung durch. Das Temperaturniveau ist mit demjenigen vom oberen Rand am Sämtisersee vergleichbar, was mit der ähnlichen Höhenlage korrespondiert. Auffällig sind die regelmässigen Ausreisser nach unten. Es scheint, als ob der Föhn hier nicht mit der gleichen Konstanz bläst und immer wieder schwächelt.

Die Föhnphase dauert bis zum Nachmittag des 25. Novembers, als eine Kaltfront die Temperatur innerhalb von 20 Minuten um 10 K absinken liess. Die Föhndauer von 137 Stunden ist sehr hoch (vgl. auch http://www.meteoschweiz.admin.ch/home/aktuell/meteoschweiz-blog.subpage.html/de/data/blogs/2016/11/immer-noch-foehn.html).

Einschränkend ist zu erwähnen, dass eine ausschliesslich über die Temperaturverhältnisse abgeleitete Definition von Föhn grob bis unzulässig vereinfachend ist. An der MeteoSchweiz wird ein automatisiertes Verfahren zur Bestimmung von Föhn angewendet, welches als Eingangsgrössen Stationsdaten von Windgeschwindigkeit, Böenspitzen, Windrichtung, relativer Luftfeuchtigkeit und potentieller Temperatur nutzt und diese Messwerte in Relation zu einer Referenzstation (Gütsch) setzt . Da diese Daten am Sämtisersee und auf Hintergräppelen jedoch nicht zur Verfügung stehen, ist eine Näherung auf der Basis der Temperaturverhältnisse die einzige Möglichkeit.

Noch eindrücklicher war die Situation bei der letzten Auslesung der Logger am 22. Januar 2017. Die Anreise zum Sämtisersee erfolgte am Abend des 21. Januars 2017. Am Parkplatz beim Pfannenstiel am Ausgang des Brüeltobels ergab eine Handmessung einen Wert von -11 °C. Der Himmel war sternenklar und es herrschte absolute Windstille. Oben beim Plattenbödeli wehte ein mässiger Föhn und vom Dach des Berggasthauses tropfte es… Die Auslesung am folgenden Morgen fand bei starkem Föhn und einer Temperatur von knapp +5 °C statt. Hier wiederum eine Filmsequenz von der Alp Sämtis:

Die Schneefahnen auf dem Saxerfirst und den Widderalpstöck zeigen die Richtung des Höhenwindes an, das Schneefegen am Talboden weist in die entgegengesetzte Richtung.

Wir springen nun 15 km Richtung WSW ins Gräppelental. Während der Fahrt von Brülisau nach Alt St. Johann sind wir unter die Inversion abgetaucht (-10 °C am Autothermometer im St. Galler Rheintal) und steigen anschliessend wieder aus der Nebelsuppe auf. Erste Feststellung beim Aussteigen aus dem Auto: Es ist praktisch windstill. Beim südexponierten Anstieg zur Risi ist der Schnee fast frühlingshaft sulzig, die Lufttemperatur liegt deutlich über 0 °C. Beim Übergang ins Gräppelental ändert sich die Hangexposition und pro Flächeneinheit erhält der Boden viel weniger Strahlung. Dies führt dazu, dass der Oberflächenrief auf der Schneedecke auch tagsüber erhalten bleibt:

Der Oberflächenreif ist darüber hinaus ein Indiz, dass hier der Föhn mindestens in der vorangehenden Nacht nicht geweht hat.

Die Lufttemperatur ist zwar noch positiv, es ist aber deutlich frischer als während des Aufstieges:

Unten in der Senke auf der Alp Hintergräppelen muss es noch einiges kälter sein: Während oben nur noch wenig Schnee auf den Bäumen liegt, sind sie unten in der Senke noch komplett weiss. Hier hat der Föhn in den vorangegangenen Tagen sicher nie geblasen:

Und tatsächlich, auf 40 m Höhendifferenz gibt es auch an diesem Tag einen Temperaturgradient von fast 16 K, die Inversion ist tagsüber noch voll ausgebildet:

Ein Blick vom Hochwinter in den Vorfrühling:

Die Auslesung des Datenloggers fördert erstaunliche Werte zutage:

Während am Sämtisersee am Morgen des 22. Januars der Föhn bei 5 Grad blies, lag hier die Kaltluft bei -28 °C bleischwer in der Senke… Auch an den Vortagen ist auf der Alp Hintergräppelen ein schön ausgeprägter Tagesgang zu beobachten. Der Föhneinsatz am Sämtisersee ist bemerkenswert: Der Temperaturanstieg beträgt 9.5 K in 10 min, 14.5 K in 20 min und 18.5 K in 50 min.

Ein Erklärungsansatz (der von Föhnexperten gerne korrigiert werden darf!) für die Föhnanfälligkeit des Sämtisersees  ist die Lage relativ zum Rheintal. Dessen Talachse ist bis in die Gegend von Buchs gegen die südliche Alpsteinkette gerichtet. Stauberenkette bzw. Furgglenfirst werden überströmt, vor allem bei der Saxerlücke (der am südwestlichsten gelegene kleine rote Pfeil) als niedrigstem Übergang. In der Senke der Alp Sämtis weht der Föhn dann häufig aus SW, er richtet sich auch hier entlang der Talachse aus.

Die Alp Hintergräppelen scheint dagegen eine deutlich geringere Föhnanfälligkeit aufzuweisen, sie liegt etwas ausserhalb des Föhn-Hotspots Rheintal.

Literatur

Dürr, Bruno. 2008. “Automatisiertes Verfahren Zur Bestimmung von Föhn in Alpentälern.” 223. Arbeitsbericht MeteoSchweiz. Zürich: Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie MeteoSchweiz. http://www.meteoschweiz.admin.ch/content/dam/meteoswiss/de/Ungebundene-Seiten/Publikationen/Fachberichte/doc/ab223.pdf.

-38.2 °C in Hintergräppelen – die Messlatte ist gesetzt

Zur Erinnerung: Während der Exkursion vom 6. Januar konnte mittels Handmessung ein Momentanwert von -35.8 °C ermittelt werden (vgl. Endlich ist der Winter da!). Am vergangenen Wochenende wurden nun erstmals Daten der definitiven Station in der Senke auf der Alp Hintergräppelen ausgelesen, nachdem die Technik am 6. Januar aufgrund der grossen Kälte versagt hatte.

Zeitangaben in der Graphik in UTC (Mitteleuropäische Winterzeit = UTC + 1h)

Das bisherige Minimum von -38.2 °C wurde am Abend des 6. Januars im Zeitraum zwischen 21:30 und 21:40 Uhr (Zeitangaben im Text in Lokalzeit) sowie zwischen 22:10 und 22:20 Uhr registriert.

Der Temperaturverlauf deutet darauf hin, dass der Himmel bis um 4 Uhr bedeckt war. Mit dem Aufklaren sank die Temperatur um bis zu 7.6 K pro Stunde auf -35.1 °C um 09:40 bzw. 10:00 Uhr.

Dieses erste Minimum korrespondiert zeitlich recht gut mit der Handmessung von -35.8 °C, welche gegen 10 Uhr durchgeführt wurde. Die Abweichung von 0.7 K lässt sich auf verschiedene Teilerklärungen zurückführen:

  • Unterschiedliche Messhöhe (Handmessung ungefähr auf Kopfhöhe vs. Stationsmessung auf 2.5 m über Boden)
  • unterschiedlicher Messort (Distanz Handmessung – Stationsmessung geschätzt 80 m)
  • unterschiedliche Sensorik
  • Handmessung ohne Strahlungsschutz

Zwischen 9 und 12 UTC gab es eine leichte tageszeitlich bedingte Erwärmung von ca. 5 K, bevor ein erneuter Temperaturrückgang einsetzte.

Von 20 Uhr bis 4 Uhr des Folgetages verharrte die Temperatur mit minimalen Schwankungen knapp unter -37 °C.  Die Konstanz der Temperatur über diese lange Zeit ist bemerkenswert und weist darauf hin, dass der Kaltluftsee völlig zur Ruhe kam.

Nach 6 Uhr am 7. Januar stieg die Temperatur mit bis zu 8.7 K pro Stunde an und erreichte um 13:50 Uhr das Tagesmaximum von -2.9 °C. Mit einem Tagesminimum von -37.5 °C nach Mitternacht ergibt dies eine ausserordentlich hohe Temperaturamplitude von 34.7 K.

Insgesamt wurden im Januar 2017 an bisher 8 Tagen Temperaturen von unter -25 °C registriert:

Alle Monatsauswertungen sind unter Hintergräppelen – Messresultate verfügbar.

 

Endlich ist der Winter da!

Nachdem der Winter 2016/17 bisher durch Kahlfröste geglänzt hat, legte er in den vergangenen Tagen eine Schippe Schnee nach… Mit den Schneefällen floss arktische Kaltluft in den Alpenraum ein – zwei Bedingungen für besonders tiefe Temperaturen wären also schon mal gegeben gewesen.

Nur: würde es früh genug in der Nacht aufreissen, damit die Temperatur auch wirklich in den Keller saust? Das war die kritische Frage bei der Planung der kleinen Exkursion von heute Vormittag.

Auf der Anfahrt von Zürich nach Alt St. Johann schwankte die Temperatur zwischen -8 °C und -15 °C und bei der Fahrt über den Ricken schneite es noch leicht. Im Toggenburg zwischen Wattwil und Starkenbach war der Himmel ziemlich wolkenverhangen, was den Optimismus doch arg strapazierte…

Bei Scharten oberhalb Alt St. Johann war Endstation mit dem Auto, die Schneeschuhe wurden angeschnallt und das Material geschultert.

Hier ein Bild vom Aufstieg zum Böstritt, Blick zurück Richtung Gamserrugg / Chäserrugg:

Eine gute Dreiviertelstunde später haben wird den Böstritt, den Übergang ins Gräppelental erreicht:

Nochmals 2oo m weiter vorne öffnet sich der Blick in die Senke der Alp Hintergräppelen, dem Ziel unserer Expedition – ein grandioser Anblick! Das Nebelchen auf dem Boden des Talkessels liess die Befürchtung, dass das Minimalziel von -20 °C nicht erreicht werden könnte, vergessen:

Bereits hier oben über dem Kaltluftsee war die Temperatur auf der ziemlich frischen Seite:

Nun begann der Abstieg in den Kessel und mit jedem Schritt in die Tiefe sank die Temperatur um einige Zehntelsgrade. Die -25 °C- und die -30 °C-Marke wurden spielend geknackt, der tiefeste fotographisch festgehaltene Wert beträgt -34.9 °C:

Beim Umhergehen fiel der Wert auf dem Handthermometer zwischenzeitlich auf -35.8 °C ab, stieg aber auch mal auf -32°C an.

Die Kälte hatte einige eindrückliche Effekte:

  • Kunststoff wird sehr schnell steif: USB- und Messsondenkabel erstarrten förmlich, Funktionsbekleidung und Rucksäcke knisterten und raschelten auffällig
  • Eigentlich wollte ich die Logger an meiner Station auslesen – das Notebook mit dem Ausleseprogramm war der Kälte jedoch nicht gewachsen. Daher kann die Handablesung auch nicht mit einem unter vernünftigen Messbedingungen erhobenen Wert in Relation gesetzt werden. Frei nach Arnold Schwarzenegger: I’ll be back – wenn’s etwas wärmer ist, damit das Notebook mitmacht!
  • Die drohende Unterzuckerung liess mich im Rucksack nach der Gatorade-Flasche greifen. Deren Inhalt war zu Slush-Eis erstarrt…
  • Eindrücklich war auch der Eis-Ansatz auf der Balaklava und an den Augenbrauen. Auch in der Nase stach es – zum Glück hatte ich am Abend zuvor noch die Nasenhaare getrimmt 😉
  • An den Händen war die Kälte erstaunlich lang gut auszuhalten. Mit einem Mal wurde es verdammt schnell ungemütlich, und ich musste die Daunenhandschuhe anziehen. Wenn die Hände klamm werden, dann fährt das ziemlich ein…

Das war dann auch der Zeitpunkt für den Rückzug… Beim Abstieg zum Parkplatz gab es dann noch wunderschönen Diamantschnee zu sehen:

Das krönende Finale war dieser Halo mit Nebensonnen:

Fazit:

  • Extreme Kälte ist in einem kontrollierten Rahmen ein absolut sinnliches Erlebnis und eine ausserordentliche Erfahrung!
  • Auch wenn die Vergleichswerte vom Sämtisersee fehlen: die Senke bei Hintergräppelen ist wohl der kälteste Ort im Alpstein.
  • Am heutigen Tag hat der Kaltluftsee bei Hintergräppelen die tieferen Minima geliefert als alle anderen mir bekannten Standorte in der Schweiz mit Messungen (inkl. La Brévine, Samedan, Buffalora, Combe des Amburnex und Glattalp). Korrektur und Anmerkungen erwünscht!
  • Wie bereits erwähnt: Der Wert aus der nahe an den WMO-Vorgaben aufgestellten Station in der Senke von Hintergräppelen ist abzuwarten – das wäre die Referenz.
  • Sobald die Werte aus der Station vorliegen, kann auch abgeleitet werden, wann die Bewölkung aufgerissen ist und wie lange die Ausbildung des Kaltluftsees gedauert hat.