Welches Potential hat die Kältewelle der kommenden Woche?

Ein Hoch über Skandinavien steuert in den nächsten Tagen sehr kalte Luft gegen Westeuropa. Mit grosser Wahrscheinlichkeit wird dieser Kaltluftvorstoss vielerorts die kältesten Temperaturen dieses Winters verantworten.

Wie tief kann die Temperatur in den kommenden Tagen in der Senke auf der Alp Hintergräppelen sinken? Reicht es eventuell sogar für einen neuen Rekord in der noch kurzen Messreihe?

In einem Kaltluftsee wird prinzipiell eine Ausgangsluftmasse modifiziert und stark abgekühlt – eine Inversion entsteht. Dazu werden die folgenden meteorologischen bzw. zeitlich variablen Voraussetzungen benötigt:

  • Kalte und trockene Luftmasse
  • Schneedecke
  • Wolkenlose Verhältnisse
  • Windstille

Sind diese Bedingungen in Kombination erfüllt, kann die Inversionsstärke 25 °C (in Extremfällen sogar mehr als 30 °C) betragen, wie die Beispiele des 6. Januar 2017 sowie des 13./14. Februar 2018 zeigen:

Betrachten wir die einzelnen Faktoren:

  • Die Ausgangsluftmasse ist mindestens für die Jahreszeit ausserordentlich kalt. Der Höhepunkt der Kältewelle wird zwischen Montag und Mittwoch erwartet. In den verschiedenen Vorhersagemodellen lohnt sich ein Blick auf das Standardniveau von 850 hPa (ca. 1500 m. ü. M., also oberhalb der planetaren Grenzschicht und relativ nahe an der Höhe des Kaltluftsees von Hintergräppelen). Die tiefsten Werte auf diesem Niveau werden je nach Modell -16 °C bis knapp -20 °C betragen. Ausgehend von diesen Werten und unter Annahme von günstigen Abstrahlungsbedingungen und Windstille wären bei der Anwendung eines Inversionsbetrages von 25 °C Werte von unter -40 °C denkbar – die Wahrscheinlichkeit für derart tiefe Werte ist aus den nachfolgend erläuterten Gründen jedoch nicht sehr gross.
  • Die Schneedecke im Gebiet ist gegen 150 cm mächtig. Die letzte Messung am 14. Februar ergab eine Gesamtschneehöhe von 155 cm bei der Messstation in der Senke. Am 15. und 16. Februar fielen dann (abgeschätzt aufgrund der umliegenden Stationen mit Niederschlagsmessung) über 30 mm Niederschlag in flüssiger Form, bevor ab dem Abend des 17. Februar wieder etwa 10 cm Schnee akkumuliert wurde. In den Folgetagen fielen mengenmässig unbedeutende Schneemengen, wobei diese aufgrund der anhaltenden Bise wohl mindestens teilweise verfrachtet wurden. Insgesamt wird der Einfluss der Schneedecke mindestens als gut erachtet – auch wenn 40 cm frisch gefallener Pulverschnee eine noch bessere Ausgangslage darstellen würde.
  • Die Bewölkung dürfte einer der kritischen Faktoren in den kommenden Tagen werden. An den Voralpen und in den Alpenrandgebieten ist mindestens zeitweise mit Hochnebelfeldern zu rechnen, wobei die Obergrenze deutlich über dem Höhenniveau des Gräppelentals zu liegen kommt. Die grössten Chancen für Aufhellungen bestehen in der Nacht vom Dienstag auf den Mittwoch – dann ist das Temperaturniveau jedoch bereits wieder etwas höher als noch an den beiden Vortagen. Die aktuelle Situation lässt sich tagsüber am besten über die beiden Webcams auf dem Iltios (https://iltios.roundshot.com/ – falls die Bilder wieder aktuell zur Verfügung stehen) bzw. auf dem Säntis (https://saentis.roundshot.com/)verfolgt werden
  • Der Wind ist die grosse Unbekannte: Generell wird die Kaltluft mit einer mässigen bis starken Bise in unsere Region geführt, ab Dienstag ist eine leichte Tendenz zur Abschwächung erkennbar. Charakteristisch ist zudem ein gewisser Tagesgang, welcher die Bise tagsüber etwas aufleben lässt und in der Nacht eher wieder einschlafen lässt. Für Hintergräppelen sind aufgrund fehlender Messdaten keine Erfahrungswerte vorhanden, wie sich das stromaufwärtsliegende Alpsteinmassiv diesbezüglich auswirkt: wird das Gräppelental vor der Bise abgeschirmt – oder gibt es allenfalls sogar einen gewissen Föhneffekt?

Fazit: Die Luftmasse wäre prinzipiell vielversprechend, um in Hintergräppelen erstmals die Grenze von -40 °C zu knacken. Hochnebel und Bise könnten jedoch den Temperaturverlauf in Hintergräppelen prägen: unter Umständen sind die tiefen Temperaturmaxima spektakulärer als die Temperaturminima. Die Lage der Station in einer Senke würde dann in den Hintergrund treten.

Erste Kältewelle im Jahr 2018: wenn nur diese Wolken nicht wären…

In der Nacht auf den 12. Februar floss hochreichende Kaltluft mit Ursprung von Grönland bzw. Kanada nach Mitteleuropa. Am östlichen Alpennordhang fielen dabei 20 – 25 cm Neuschnee. Bei nachlassendem Wind riss in der Nacht vom 12. auf den 13. Februar kurz nach Mitternacht die Bewölkung auf und liess die Temperatur rasch und stark absinken.

In Hintergräppelen wurde am Morgen des 13. Januar erstmals der Wert von -30 °C unterschritten, um 06:50 UTC wurde ein Minimum von -31.1 °C gemessen. Unter idealen Bedingungen wäre die Temperatur noch etwas weiter abgesunken, aufziehende Hochnebelfelder verhinderten dies jedoch:

Um 07:30 Uhr Lokalzeit war der Himmel über dem Obentoggenburg noch praktisch klar. Bildquelle: https://iltios.roundshot.com/
20 Minuten später hat sich auf einer Höhe von etwa 1700 – 1800 m. ü. M. eine Stratus-Schicht über dem Gräppelental ausgebreitet. Bildquelle: https://iltios.roundshot.com/

Nach einer zwischenzeitlichen Erwärmung auf -6.4 °C sank die Temperatur am Abend des 13. Februars erneut stark ab, um 22:50 UTC wurde mit -33.4 °C das bisherige Minimum des Winters 2017/18 registriert. In der Folge zogen mittlere und hohe Wolkenfelder auf, welche die Abstrahlung reduzierten und die Temperatur ansteigen liess.

Durch die neu installierte Nebenstation lässt sich nun erstmals über Messungen vor Ort bestimmen, wie intensiv der Kaltluftsee ist. Die Stärke der Inversion ist beachtlich, in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar betrug sie maximal 24 K auf einer vertikalen Distanz von 75 m:

Am Sämtisersee gibt es einige interessante Abweichungen vom Temperaturverlauf auf der Alp Hintergräppelen:

Am Morgen des 13. Februar war der Zeitpunkt des Minimums sehr ähnlich, jedoch mit -25.0 °C auf etwa 6 K höherem Niveau. Zudem steigt die Temperatur in der Folge sehr viel stärker an. Das nachfolgende Bild zeigt, weshalb:

Webcam Bild vom Hohen Kasten mit Blick auf den Sämtisersee, aufgenommen am 13. Februar um 07:05 Uhr Lokalzeit. Bildrechte: www.hoherkasten.ch / www.plattenboedeli.ch

Vom Rheintal her wird die Alp Sämtis mit Bewölkung förmlich geflutet. Während die Bewölkung im westlichen Alpstein dünn blieb, war sie hier so mächtig , dass die Strahlungsbilanz deutlich positiver war und die Temperatur je nach Vergleichszeitpunkt 3 bis 15 K höher lag als in Hintergräppelen.

Auffällig sind auch die hochfrequenten Schwankungen der Temperatur am Sämtisersee, welche auf eine stärkere Zirkulation hinweisen.

Offenbar blieb der Himmel am Sämtisersee in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar deutlich länger offen als im westlichen Alpstein, das Temperaturminimum wurde erst um 05:10 UTC mit -27.1 °C gemessen.

Man kann natürlich spekulieren, wie tief die Temperatur in Hintergräppelen nach Mitternacht bei klarem Himmel noch gesunken wäre – ein Minimum von unter -35 °C ist denkbar.

Auch am Sämtisersee existiert eine Nebenstation, ca. 80 m über dem Grund der Senke. Die Inversion ist deutlich weniger stark ausgebildet als in Hintergräppelen und erreicht am Morgen des 14. Februars einen Wert von etwa 14 K:

 

Ein denkwürdiger Januar ist vorüber

Der Januar 2018 wird als ausserordentlich mild in Erinnerung bleiben.

Schweizweit betrugen die Abweichungen der Temperatur gegenüber der Normperiode 1981-2010 1 – 6 Grad. Die geringsten Abweichungen wurden auf der Alpensüdseite sowie in den höheren Lagen der Alpen registriert. Die grössten Abweichungen wurden in den tieferen Lagen auf der Alpennordseite verzeichnet. In der Kartendarstellung von MeteoSchweiz stechen die Regionen besonders hervor, in welchen SwissMetNet-Stationen in Kaltluftseen besonders in die Interpolation eingehen (La Brévine, Tänikon, Delémont):

Abweichung der Monatsmitteltemperatur im Januar 2018 gegenüber der Normperiode 1981 - 2010
Quelle: http://www.meteoschweiz.admin.ch/home/klima/schweizer-klima-im-detail/monats-und-jahresgitterkarten.html?filters=temp_anom_2018_01_2018

Auf Basis der Echtzeitdaten, welche hier verfolgt werden können, kann für die Station im Kaltluftsee von Hintergräppelen ebenfalls eine erste Einordnung vorgenommen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Temperaturfühler des Echtzeitsensors zwar strahlungsgeschützt, jedoch nicht aktiv ventiliert wird. Die Temperatur weist somit an sonnigen, windstillen Tagen einen Fehler auf.

Mit -0.3 °C war die Monatsmitteltemperatur in Hintergräppelen ausserordentlich hoch. Langjährige Vergleichswerte sind hier keine vorhanden, zur Einordnung dennoch zwei  Vergleiche:

  • Dieser Wert ist identisch mit dem Januarmittelwert der Normperiode 1981/2010 der gut 700 m tiefer gelegenen Station Tänikon (Link zur Quelle).
  • Im Vorjahr wurde der kälteste Januar seit 1987 registriert, der Januarmittelwert in Hintergräppelen -12.7 °C. Als Kontextinformation sei auch in diesem Fall auf die Darstellung der Temperaturanomalien der MeteoSchweiz verwiesen, welche in Tallagen der Alpennordseite eine negative Abweichung von 4 Grad und mehr zeigt.

Das Monatsminimum von -18.9 °C darf ebenfalls als sehr hoch gewertet werden.  Seit Beginn der Messungen im Herbst 2016 wurden in jedem Wintermonat zwischen November und April tiefere Minima registriert. Eine Ausnahme bildet der Dezember 2016: Damals hat die fehlende Schneedecke dazu geführt, dass die Abstrahlungsbedingungen nicht ideal waren und das Monatsminimum nur bei -14.0 °C lag. Dennoch wurde ein Monatsmittelwert von -4.3 °C erreicht.

Frostwechseltage wurden an immerhin 25 Tagen registriert, Eistage gab es nur 2 Stück – auch diese Werte sind typischerweise eher im November oder im März zu erwarten…

Insgesamt waren im Januar 2018 mehrere der notwenigen Faktoren für die Ausbildung starker Inversionen nicht erfüllt. Die häufigen Westlagen haben sehr milde Ausgangsluftmassen herangeführt, damit verbunden waren viele Wolken und eine hohe mittlere Windgeschwindigkeit.

Mindestens für die erste Februardekade sind die Aussichten um einiges besser…