Aktuell

Station in Hintergräppelen auf neuem Mast sowie mit Schneemessung

Knapp 6 Jahre nach ihrer Erstellung wurde der Mast der Station in Hintergräppelen ersetzt. Zudem wurde das Messprogramm mit einem Gerät zur Schneemessung ergänzt.

Im November 2016 wurde die Station auf einem Teleskopmast aus Aluminium, der mit einer Schraubbodenhülse im Boden verankert war und auf zwei Höhen mit Drahtseilen abgespannt war, errichtet:

Bau der Station Hintergräppelen im November 2016

Beraten und unterstützt von Turi Kunz und Michi Kopp, zwei ausgewiesenen Experten und Praktikern in Sachen Bau und Unterhalt von Wetterstationen, war die damalige Installation darauf ausgelegt, einen Datenlogger, einen Strahlungsschutz sowie ein Solarmodul zur Speisung der Ventilation zu tragen – und zwar zu einem vertretbaren Gesamtpreis.

Über die Zeit wurde die Station um weitere Geräte ergänzt, es folgten ein Gerät zur Messung und Übermittlung von Temperatur und Luftfeuchtigkeit in Echtzeit von Decentlab, dessen Sensor in einem sehr guten passiven Strahlungsschutz von Barani Design untergebracht wurde.

Juli 2019: Es wird eng am Mast – er trägt nun auch ein Gerät von Decentlab (Echtzeit-Messung und Übermittlung von Temperatur und Feuchte) sowie einen Strahlungsschutz von Barani.

Hinzu kamen die speziellen Bedingungen an diesem Standort. Der westliche Alpstein ist bekanntermassen schneereich – und eine Schneedecke „arbeitet“ mit der Zeit (Schneekriechen und Schneegleiten). Ein Teleskopmast aus Aluminium hat dem kaum etwas entgegenzusetzen:

Die Station steht am Hangfuss – die Bewegung der Schneedecke drückt auf den Mast.

Neben der Schrägstellung des Mastes ist auch der Winkel der Abspannseile auf den beiden Winterbildern im Vergleich mit der ersten Abbildung zu beachten: Was passiert hier?

In der Senke von Hintergräppelen liegt ein Flachmoor (keine Angst: die Position der Station ist so gewählt, dass sie auf der Weide und nicht im Schutzgebiet liegt) und dementsprechend gross ist die Vernässung des Bodens. Dies zeigt sich auch an den regelmässig stattfindenden Überflutungen der Senke bei starken Niederschlägen (ggf. in Kombination mit Schneeschmelze):

Tauflut im März 2020: Regen und Schneeschmelze liefern mehr Wasser, als das Schluckloch abzuführen vermag – es staut sich ein See auf.
Es gibt gute Gründe, weshalb der Logger eine hohe Schutzklasse aufweisen muss…

Auch wenn in Hintergräppelen die Lufttemperatur weit unter -30 °C liegen kann: durch die Isolationswirkung der Schneedecke liegt die basale Schneetemperatur bei 0 °C – der Boden ist also nicht gefroren.

Die Drahtseile der Abspannung frieren nun am Schnee fest und im Verlaufe des Winters  wird der Teleskopmast einerseits zusammengeschoben und andererseits wird er 30 – 40 cm in den weichen und feuchten Boden getrieben. Nach der Schneeschmelze sieht das dann ungefähr so aus:

Die Abspannseile erfüllen ihren Zweck nicht mehr: weil der Mast gute 40 cm tiefer im Boden steckt als noch zu Beginn des Winters, hängen sie schlaff herunter.

Kurz zusammengefasst: An einem trockenen, weit herum ebenen Standort würde der Mast seinen Zweck einwandfrei erfüllen. Für Hintergräppelen musste jedoch eine andere Lösung gefunden werden.

Das Messen in bzw. die Erforschung von Kaltluftseen ist und bleibt ein Hobby, dementsprechend ist der Aufwand bezüglich Zeit und Ressourcen limitiert – und die Idee einer Masterneuerung blieb längere Zeit liegen.

Auf Einladung des Vereins LoT (Lebenswertes obersters Toggenburg) durfte ich Ende April 2022 in Wildhaus einen Vortrag über den Kaltluftsee von Hintergräppelen halten.

Im Nachgang zu diesem Vortrag ergab sich der Kontakt zu Peter Diener, Vorsitzender der Lawinenfachkommission Wildhaus – Alt St. Johann. Der Lawinenfachkommission obliegt die Überwachung der Lawinensituation auf dem Gemeindegebiet. Sie kann die Sperrung/Öffnung von Strassen und Wegen anordnen und berät bei einer erhöhten Gefährdung den Gemeindeführungsstab bezüglich weitergehenden Massnahmen.

In der Diskussion mit Peter Diener zeigte sich, das wir gemeinsame Interessen haben:

  • Für mich war neben der Erneuerung des Mastes zusätzliche Informationen zur Schneehöhe ein lange gehegter Wunsch für die Beurteilung des Potentials für extrem tiefe Temperaturen.
  • Die Lawinenfachkommission war an Schneedaten aus dem Gräppelental interessiert, um die Grundlagen für die Beurteilung der Lawinensituation zu ergänzen.

Aus den gemeinsamen Bedürfnissen wurde schnell ein gemeinsames Projekt: Am 1. September fand eine gemeinsame Reko vor Ort statt und am 21. September errichteten Peter Diener und sein Stellvertreter Norbert Fischbacher unmittelbar neben der bestehenden Station einen solide verankerten und stabilen Mast aus einem Gerüstrohr und einem Führungsrohr mit Standfuss.

Errichtung des neuen Mastes unmittelbar neben der bestehenden Station. (© Bild: Peter Diener)

In der Zwischenzeit konnten ich erste Tests mit einem optischen Distanzmessgerät von Decentlab durchführen, welches als Sensor einen LIDAR von Garmin nutzt. Dazu wurde eine Versuchsanlage auf dem eigenen Gartensitzplatz errichtet:

Testinstallation des Schneehöhensensors

Ein separater Beitrag wird sich den technischen Herausforderungen bei der automatischen Schneehöhenmessung widmen – die ersten Erkenntnisse zeigen jedoch, dass es eine Vielzahl von Faktoren gibt, welche die Güte der Messung beeinflussen:

  • Vibration des Mastes bei Wind.
  • unterschiedliches Reflektionsverhalten (Reflektivität) des Messobjektes (Erdoberfläche)
  • Hebung/Senkung des Bodens bei (flüssigem) Niederschlag und Temperaturänderungen (z.B. Frosthebung)

Diese Einflussfaktoren können nicht vollständig eliminiert werden, auch deren Reduktion ist mit sehr grossem Aufwand verbunden (z.B. Messobjekt starr mit Mast verbunden).

Am 13. Oktober konnte dann die Station vom alten auf den neuen Mast gezügelt werden. Hintergräppelen empfing mich standesgemäss mit einem Anblick, der zeigt, wie räumlich eng begrenzt das Phänomen „Kaltluftsee“ ist:

Oben grün, unten weiss – oben mild, unten kalt: Die Temperaturumkehr im Kaltluftsee wird durch den Reif im Gelände sichtbar.

Hier das letzte Bild der Station am alten Mast:

Alle Geräte werden mit Aluminiumprofilen und Bandschellen am Mast fixiert:

Die Kabel werden in Wellrohr untergebracht und mittels Kabelbindern am Mast fixiert:

Und dann steht sie endlich:

Der grüne Rasenteppich (mit Erdnägeln am Boden fixiert) dient dazu, dass während schneefreien Zeiten ein möglichst guter Nullpunkt für die Distanzmessung vorhanden ist.

Sobald Erfahrungen mit der Distanzmessung an diesem Standort vorhanden sind, werden die Daten auf dieser Seite verfügbar gemacht.

Zum Schluss gibt es verschiedene Personen, welchen grosser Dank gebührt:

  • Peter Diener und Norbert Fischbacher für die Initiative und die Bereitstellung des Mastes, danke für die tolle Zusammenarbeit!
  • Der Gemeinde Wildhaus-Alt St. Johann für die Beteiligung am Mast und am Schneemessgerät,
  • Reinhard Bischoff und Jonas Biveroni von Decentlab für die Unterstützung bezüglich des Schneemessgerätes,
  • Michi Kopp und Turi Kunz für die Hilfe bei der Installation der ursprünglichen Messstation in Hintergräppelen  und in der Folge für die zahlreichen Diskussionen, Tipps und Hilfestellungen. Im Feld liegt die Wahrheit – gelernt von den Besten ihres Faches: ohne das Know-How der Praktiker funktioniert kein Messsystem!

Eine längere Durststrecke findet ihr Ende

Der Winter hat in den Kaltluftseen des Alpsteins im letzten Novemberdrittel begonnen: Bis Ende Jahr konnten in Hintergräppelen 8 Kalendertage mit einem Minimum von unter -20 Grad verzeichnet werden. Aus Sicht des gemeinen Kälteliebhabers kann man das allenfalls als erste Lockerungsübungen bezeichnen – der Wohlfühlbereich beginnt ab einer Schwelle von -30 °C. Solche Werte blieben uns im gesamten Winter 2019/2020 verwehrt, es handelte sich um den wärmsten Winter seit Beginn systematischer Messungen in der Schweiz. Letztmals wurde diese Marke am 6. Februar 2019 unterschritten.
Der Januar begann mässig kalt mit einer Serie von Eistagen in Hintergräppelen, am Sämtisersee stieg die Temperatur nur während kurzen Föhnstössen über der Frostgrenze. Ab dem 9. Januar wurde mit einer Bisenströmung in den untersten 3 km der Atmosphäre verhältnismässig kalte Luft aus Nordosten in die Schweiz geführt. In der feuchten Grundschicht bildete sich Hochnebel über dem Mittelland und in den Voralpen. Wie üblich war dessen Obergrenze eng an die Stärke der Bise gekoppelt, sie lag aber meistens unterhalb des Niveaus des Gräppelentals und des Sämtisersees, und so herrschten bei ansonsten schwacher Bewölkung gute Bedingungen für die Ausbildung intensiver Kaltluftseen. Die Strahlungsbilanz blieb auch tagsüber negativ, dies führte zu einer nur geringfügigen tageszeitlichen Erwärmung.
https://kaltluftseen.decentlab.com/render/d-solo/000000008/home?orgId=2&from=1610060400000&to=1610449200000&panelId=28&width=1000&height=500&tz=Europe%2FZurich
Am Morgen des 10. Januars fiel die Temperatur in Hintergräppelen ein erstes Mal unter -30 °C. In der obigen Graphik fallen die starken Fluktuationen der Temperatur auf. Zoomen wir etwas herein:
Bild
Es fällt auf, dass die Schwankungen eine gewisse Regelmässigkeit aufweisen. Vermutlich schwappt der Kaltluftkörper, angetrieben durch die Bise, in den beiden Senken hin und her, analog zu Seiches in Seen. Die Schwingungsdauer am Sämtisersee ist etwa doppelt so gross wie in Hintergräppelen, ebenso die Amplitude.  Grund für die Unterschiede sind die unterschiedliche Geometrie (Grösse&Tiefe) der Senken. Hätte es Nebel gehabt, so wäre die Bewegung sichtbar geworden.
Eine ältere Zeitraffersequenz der Webcambilder vom Hohen Kasten zeigt, wie das hätte aussehen können:

Am Abend des 10. Januars lebte die Bise nochmals auf, was zu einem Anstieg der Hochnebelgrenze führte.

10. Januar, 18:00 Uhr: Beste Abstrahlungsbedingungen im Obertoggenburg (c) saentis.roundshot.com
10. Januar, 23:00 Uhr: Der Hochnebel vermag das Gräppelental (Bildmitte, rechts unterhalb der drei Hügelzüge) ganz knapp zu fluten. (c) saentis.roundshot.com
11. Januar, 03:00 Uhr: Der Hochnebel hat sich aus dem Obertoggenburg zurückgezogen. (c) saentis.roundshot.com

Die Auswirkungen dieses Vorstosses des Hochnebels sind eindrücklich:

https://kaltluftseen.decentlab.com/render/d-solo/000000008/home?orgId=2&from=1610276400000&to=1610362800000&panelId=25&width=1000&height=500&tz=Europe%2FZurich

Mitten in der Nacht stieg die Temperatur innerhalb von 4 Stunden von -31.8 °C auf -21 °C an. Nach dem Rückzug war das verloren gegangene Terrain rasch wieder aufgeholt und um 04 Uhr morgens konnte der Pfad wieder aufgenommen werden, der um 21:30 Uhr verlassen wurde. Das Minimum wurde kurz vor Sonnenaufgang mit -33.1 °C erreicht.

Schlussendlich kann man nur darüber spekulieren, wie weit die Temperatur ohne diesen Störfaktor abgesunken wäre: Ein Wert im Bereich zwischen -35 und -36 °C erscheint plausibel.
Nachfolgend eine Einordnung dieses Minimums von -33.1 °C unter drei Blickwinkeln:
– Timothy Wright aus Utah (er beschäftigt sich ebenfalls mit der Suche nach Kaltluftseen und kennt u.a. Peter Sinks (der Ort, an dem die tiefste Temperatur in den Lower 48 gemessen wurde) wie seine Westentasche) hat verdankenswerter Weise ein Landsat 8-Bild vom 11. Januar, 11:11 Lokalzeit analysiert:
Dargestellt ist die Landoberflächentemperatur, rote Farben zeigen verhältnismässig warme Flächen, je gelber und vor allem grüner, desto kälter. Der Walensee sticht hervor, aber auch südexponierte Hänge. Grün zeichnen sich die Kaltluftseen ab, die kältesten sind mit der jeweils tiefsten Temperatur gekennzeichnet. Die Lufttemperatur betrug zu diesem Zeitpunkt in Hintergräppelen -29.5, am Sämtisersee -24.6 °C. Es bestätigt sich, dass Hintergräppelen auch an diesem Tag der kälteste Ort der Nordostschweiz war.
Neben dem Sämtisersee (-24.6 °C) weisen auch der Voralpsee (-24.8 °C), der Ochsenboden (-24.6 °C), der Spannegsee (-23.6 °C) sowie der Schwendisee (-23.2) tiefe Werte auf. Diese Minima sind erwartungsgemäss allesamt in konkaven Geländeformen aufgetreten, welche eine hohe Disposition zum Aufstau von Kaltluft haben.
– Gemessen wird in Hintergräppelen seit November 2021. Tiefere Werte sind im Januar 2017 und im Februar 2018 aufgetreten.Bild
– Im Vergleich mit anderen Messstationen in der Schweiz wurde Hintergräppelen nur noch durch die EBS-Station auf der Glattalp unterboten:
Die Messungen der EBS Energie auf der Glattalp werden seit dem Winter 1983/1984 durchgeführt, gehen also in die 38. Saison. Bliebe es bei diesem Minimum von -34.7 °C so, wäre es das fünftwärmste der gesamten Messperiode.
Fazit: Die kleine Kältewelle ist wohltuend nach dem Nicht-Winter 2019/2020, mehr aber auch nicht. Die Werte an den beiden kältesten Messorten (Glattalp und Hintergräppelen) sind definitiv keine ausserordentlichen Ereignisse.

Es lächelt der Kaltluftsee, er ladet zum Bade… (II)

Bereits im letzten Beitrag vom 18. April wurde auf die Wildkamera in Hintergräppelen hingewiesen. Am 3. Februar hatte sie die Überflutung der Senke festgehalten:

Solche Ereignisse habe ich bis anhin auf  eine Kombination von Schneeschmelze, der daraus resultierenden Sättigung des Bodens und ergiebigem Niederschlag mit hoher Schneefallgrenze in Verbindung gebracht. Im vergangenen Mai führte ein solches zu einem Teil-Ausfall der Station (Link zum Blogbeitrag), aber auch ältere Bilder liessen auf diese Ursachenkombination schliessen:

Aufnahme der Alp Hintergräppelen vom 10. Mai 2009. In der Senke hat sich ein temporärer See ausgebildet. © Bild: Ivo Deininger

Bei der gestrigen Tour wurden auch die seit dem 18. April aufgelaufenen Bilder der Wildkamera ausgelesen. Zwar funktioniert die Kamera immer noch nicht wie gewünscht, immerhin sind von praktisch allen Tagen 1 – 3 Bilder verfügbar. Die Durchsicht derselben förderte Erstaunliches zu Tage: in den vergangenen etwas mehr als zwei Monaten wurde die Senke 4 mal überflutet – Schneeschmelze war bei keinem Ereignis im Spiel.

Am 29. April wurde nur der unmittelbare Bereich des Gerinnes überflutet:

Die Überflutung vom 2. Mai war bezüglich ihrer Ausdehnung mit derjenigen vom 3. Februar vergleichbar:

Vom 7. Juni liegen drei Bilder vor. Am Vormittag ist die Situation noch unauffällig, 5 Stunden später lässt sich eine Überflutung beobachten, welche in der Folge wieder zurückgeht:

Am 11. Juni ist eine vergleichbare Überflutung zu erkennen:

Die folgende Gegenüberstellung von Temperatur (Messstation Hintergräppelen) und  Tagesniederschlag (SMN-Niederschlagstation Starkenbach von MeteoSchweiz) zeigt zwar, dass vor den registrierten Überflutungsereignissen (rot eingezeichnet) reichlich aber nicht extrem viel Niederschlag gefallen ist:

Es ist sehr wahrscheinlich, dass die überflutungsbedingte Vernässung des Bodens einen dämpfenden Einfluss auf die Temperaturminima hat. Mit einer trockeneren Disposition, wie sie z.B. in den Senken des Jura häufig anzutreffen ist, wären im Sommerhalbjahr noch tiefere Minima möglich.

Frühling im Alpstein

Trotz coronalem Lockdown war am 18. April eine Auslesetour zu den Messtationen im Alpstein fällig. Die Touren zum Sämtisersee und zur Senke von Hintergräppelen waren zielgerichtet, mit wenig Risiken verbunden und wurden solo mit genügend Abstand zu anderen Wanderern absolviert. Sie waren daher meines Erachtens auch unter den gegebenen Umständen vertretbar.

Seit Wochen ist das Wetter hochdruckbestimmt und deutlich wärmer als normal. Markant ist die extreme Trockenheit. In tieferen Lagen, unterhalb von etwa 1500 m, war die Schneebedeckung bis auf wenige Tage den ganzen Winter über unterdurchschnittlich, wie die folgende Graphik des SLF zeigt:

 

Unterhalb von etwa 1500 m ist die Ausaperung weit fortgeschritten. Durch die grosse Trockenheit führen Gewässer, deren Einzugsgebiet nicht mehr in Höhenlagen reicht, wo die Schneeschmelze noch zum Abfluss beiträgt, teilweise sehr wenig Wasser. Das nachfolgende Bild zeigt einen Zubringer zum Brüelbach bei Brülisau, welcher trockengefallen ist:

Erste Schneereste gab es im Brüeltobel. In Lagen mit starker Abschattung und insbesondere beim Hexenwäldli, einer unterkühlten Blockschutthalde, konnte sich noch etwas Schnee halten:

Oben am Sämtisersee waren die Schneereste nur noch sehr spärlich vorhanden und die Quellwolken hatten bereits frühsommerlichen Charakter:

Auch der See war eisfrei. Wie schnell die Schmelze vor sich ging, zeigt die Animation der Bilder der Webcam von hoherkasten.ch. Sie umfasst den Zeitraum vom 4. bis zum 8. April. Dank der hellen Mondnächte und zeitweiliger Föhnunterstützung ist der Prozess teils auch bei Nacht gut zu verfolgen:

Auf der anderen Seite des Alpsteins bot sich beim Aufstieg von Scharten ins Gräppelental ein fantastischer Blick auf die Churfirsten:

Die Quellbewölkung bildete sich über den schneefreien Hängen, weiter oben wurde die Thermik durch die Schneebedeckung gedämpft.

Mit dem Übergang vom Haupttal ins Gräppelental änderte sich der Eindruck. An schattigen Lagen sowie in der Senke lag noch deutlich mehr Schnee als am Sämtisersee auf ähnlicher Höhe:

Im Bereich des Gerinnes, welches zum Schluckloch hin entwässert, fällt die schmutzige Schneeoberfläche auf, welche in der folgenden Aufnahme besser zu sehen ist:

Diese rührt von einer kombinierten Regen-/Schneeschmelzereignis Anfang Februar her. Dass ein solches stattgefunden haben muss, zeigte sich bei meiner letzten Auslesetour am 6. Februar. Beim Öffnen des Loggergehäuses präsentierte sich die Lage folgendermassen:

Die Enteisungsaktion bei -17 °C war einigermassen heikel: Wie enteist man den Logger soweit, dass er ausgelesen werden kann, ohne aber die durch die Kälte spröden und somit zerbrechlichen Kabel zu beschädigen? Schlussendlich war das Werk jedoch vollbracht:

Versuchsweise wurde im vergangenen November am Hang der Senke eine Wildkamera im Zeitraffer-Modus angebracht, um die Dynamik der Schneedecke und der Nebelbildung in der Senke qualitativ zu erfassen. Leider hat sie bisher nicht wie gewünscht funktioniert, hat aber dennoch ein Bild der Überflutung am 3. Februar geliefert:

Zurück zu den Bedingungen vom vergangenen Samstag, dem 18. April. Die Mächtigkeit der Altschneedecke betrug in der Senke teilweise bis zu einem halben Meter. Ein Blick auf den Temperaturverlauf seit Anfang April zeigt den Grund: Über der Senke an der Nebenstation Mittelberg war die Temperatur fast durchwegs im positiven Bereich (rote Kurve), unten in der Senke an der Hauptstation (blaue Kurve) waren die Schwankungen viel grösser und es wurden jeden Tag negative Minima registriert. Der Mittelwert der Temperatur lag nur knapp im positiven Bereich.

So erfolgte der Abbau der Schneedecke sehr viel langsamer als an sonnenexponierten Lagen ausserhalb der Senke. Bei 15 °C und direkter Sonneneinstrahlung liess sich die Schmelze gut beobachten: Das Schmelzwasser wurde als gesättigter Oberflächenabfluss dem Gerinne und dann dem Schluckloch zugeführt. Beide waren sehr gut gefüllt:

Zum Schluss noch ein Blick auf den nahen Gräppelensee: dieser war zu grossen Teilen noch von Eis bedeckt (wir erinnern uns an die Zeitrafferaufnahme vom Sämtisersee).

Ein weiteres Indiz dafür, dass der östliche Alpstein gegenüber dem Gräppelental thermisch begünstigt ist.

Rückblick auf das Jahr 2019 in Hintergräppelen

Eine Auslesetour am Neujahrstag in Hintergräppelen hat dazu geführt, dass zeitnah die Statistik für das vergangene Jahr erstellt werden konnte.

Nachfolgend einige Impressionen vom Neujahrstag:

Der Aufsteig vom Obertoggenburg her war ziemlich schweisstreibend, auf dem Gupf über der Senke von Hintergräppelen liess es sich im T-Shirt bestens aushalten. Unten im Loch (im Hintergrund) war es zu diesem Zeitpunkt -14 °C kalt.
Panorama über die Senke von Hintergräppelen, aufgenommen um 15:40 Uhr Lokalzeit.

Unten in der Senke zauberte die Kälte und der zur Verfügung stehende Wasserdampf fantastische Eiskristalle an die Vegetation:

Das oben erwähnte T-Shirt-Wetter manifestierte sich in einer am Schatten gemessenen Lufttemperatur von knapp +4 °C – an der Sonne war es natürlich deutlich angenehmer. Unten in der Senke war es gleichzeitig -14 °C kalt – es gab also eine Temperaturdifferenz von satten 18 Grad, wie der Screenshot von der Auslesung zeigt:

 

Zurück zu Hause konnte dann die Statistik für das vergangene Jahr nachgeführt werden, und die präsentiert sich wie folgt:

Echtzeitdaten neu auch vom Sämtisersee

Seit dem Abend des 20. Septembers sind Echtzeitdaten auch vom Sämtisersee verfügbar. Eine Sensoreinheit von Decentlab liefert in einer Frequenz von 2 Minuten Daten. Der Sensor wird tagsüber aktiv ventiliert, sodass eine hohe Genauigkeit der Messung erreicht wird.

Die Daten sind unter https://kaltluftseen.ch/samtisersee-aktuelle-messwerte/ verfügbar.

Endlich zuverlässiger Datentransfer in La Chaux-d’Abel

Am 28. 12. 2018 wurde in La Chaux-d’Abel ein Messgerät von Decentlab installiert, welches über LoRaWAN (LPN-Netzwerk von Swisscom) in einem 2 Minutenintervall Daten übermitteln sollte. „Sollte“, weil das mit der Datenübermittlung eine Herausforderung war.

Die Station liegt in einer Senke (aus guten Gründen, es sollen ja möglichst tiefe Temperaturen registriert werden), das ist einem guten Empfang jedoch nicht zuträglich. Die Gateways, welche mit der Station kommunizieren, liegen zwischen 10 und 24 km entfernt, so dass ein genügend starkes Signal nur unregelmässig vorhanden war.

Ende Januar brach der Kontakt dann ganz ab.

Die roten Punkte zeigen die Standorte der Gateways, die Prozentzahlen geben an, welcher Anteil des Datentransfers über ein bestimmtes Gateway abgewickelt wurde. Der blaue Stern zeigt den Standort der Station in La Chaux-d’Abel.
Temperaturverlauf an der Station La Chaux-d’Abel von Ende Dezember 2018 bis Ende Januar 2019. Ab Mitte Januar sinkt die Rate der übertragenen Datenpakete, am 30. Januar wird letztmals ein Messwert empfangen.

Die Fehlersuche gestaltete sich aufwändig, war jedoch dank Unterstützung durch Herrn Jean Oppliger sowie die Firmen Decentlab und Swisscom schlussendlich erfolgreich.

Ein Ersatzgerät von Decentlab zeigte, dass die Probleme von einem Defekt am Originalgerät herrührten. Darüber hinaus war jedoch auch der Empfang des LoRaWAN-Signals trotz erhöht angebrachter Antenne nicht optimal. (c) Bild: Jean Oppliger

Um die Empfangsqualität zu verbessern, konnte anfang September 2019 ein Indoor-Gateway installiert werden. Der Swisscom sei an dieser Stelle bestens dafür gedankt, dass dieses zu stark vergünstigten Konditionen bezogen werden konnte.

Bei dieser Gelegenheit wurde der Standort der Station nochmals etwas verschoben. Grundlage waren Vergleichsmessungen durch Jean Oppliger, der unweit der Station wohnt. Der neue Standort verspricht nochmals leicht tiefere Minima:

Neuer Standort der Station am Grenzzaun zwischen zwei Weiden.

Das Gateway hat die Empfangsqualität massiv verbessert und die Werte werden praktisch lückenlos übermittelt, wie unter https://kaltluftseen.ch/la-chaux-dabel-aktuelle-messwerte/ überprüft werden kann.

Drohne + Datenlogger = Temperaturprofil

Für die Serie „Bergsommer – 7 Tage im Alpstein“ besuchten Stephanie Martina und Raphael Rohner vom Tagblatt Anfang Juni den Kaltluftsee von Hintergräppelen. Dabei ist eine gelungene Online-Reportage entstanden:

https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/alpstein/froesteln-im-sommer-ein-abstecher-zum-kaeltesten-ort-der-ostschweiz-ld.1135926

Mit im Gepäck war eine Drohne und relativ spontan ist die Idee entstanden, einen kleinen Datenlogger an die Drohne anzubringen und auf diese Weise ein Temperaturprofil zu ermitteln. Professionell wird dies zum Beispiel durch die Firma Meteomatics in St. Gallen gemacht.

Unser Versuch hatte keine professionellen Ambitionen und kann allenfalls als Machbarkeitstest bezeichnet werden. Es begann mit ganz grundsätzlichen Problemen: Wie befestigt man einen Logger an einer Drohne ohne das passende Material? Die Suche in unserem Gepäck beförderte schlussendlich unter anderem ein Einhorn-Heftpflaster zu Tage, welches dann zur Fixierung des Datenloggers verwendet wurde:

Schon bald war die Drohne startklar und hob ab (der Messfühler unten an der Drohne ist knapp zu erkennen):

Der Logger hat die Temperatur im Sekundentakt aufgezeichnet. Zusammen mit den Positionsdaten der Drohne und den Bildern hat Raphael Rohner das folgende Video zusammengestellt:

(Video leider nicht mehr online)
 

Eine schöne Visualisierung, die Lust auf mehr macht!

Überflutung der Station von Hintergräppelen

Die Senke von Hintergräppelen wird unterirdisch über einen Ponor (Schluckloch) entwässert. Wenn der Zufluss den Abfluss übersteigt, dann staut sich das Wasser und es bildet sich ein temporärer See aus. Dieses Phänomen ist bekannt und wurde im Mai 2009 durch Ivo Deininger bereits einmal im Bild festgehalten:

Senke von Hintergräppelen im Mai 2009. Regen und Schneeschmelze haben einen temporären See aufgestaut. © Ivo Deininger

Es ist ein grundsätzliches Dilemma bei der Messung in geschlossenen Senken: zuunterst ist es am kältesten, die Hochwassergefahr ist aber auch am grössten. Dementsprechend sind solche Überflutungen auch aus La Brévine oder aus der Combe des Amburnex bekannt.

Ende Mai 2019 sind im Alpstein über 100 mm Niederschlag bei einer Schneefallgrenze von über 2000 m gefallen. Nachdem der Echtzeitsensor zuerst ausgefallen ist, 1.5 Tage später jedoch wieder Lebenszeichen von sich gegeben hat, schien zuerst alles in Ordnung: Glück gehabt, wahrscheinlich ist der Wasserspiegel stark angestiegen und hat die Signalausbreitung behindert, ohne die Station jedoch zu überfluten (die Signalausbreitung hängt vom Abstand zur Oberfläche ab, hier lässt sich damit spielen: https://waviot.com/technology/nb-fi-range-calculator):

Wie ein Augenschein vor Ort ergeben hat, waren die Hoffnungen verfrüht: Im Rahmen einer Exkursion mit Studenten der Uni Wien zeigten sich am 29. Mai einerseits normale Winterschäden (Mast durch Schneedruck verbogen, Abspannung musste erneuert werden – durch tatkräftige Mithilfe von Prof. M. Dorninger und Studenten in kurzer Zeit erledigt!), andererseits ergoss sich beim Öffnen der Box, in welcher der Logger untergebracht ist, ein Schwall Wasser auf den Autor dieser Zeilen… Der Logger stand also tagelang unter Wasser, er hat dieses Waterboarding jedoch tatsächlich überlebt!

An diesem Tag entstanden die beiden folgenden Aufnahmen:

Ausmass des temporären Sees in der Senke von Hintergräppelen, aufgenommen am 29. Mai 2019. Die Obergrenze des Wassers wird durch die Unterkante des Schnees angezeigt.
Aufnahme der Messstation in der Senke. Gut sichbar ist die Vernässung des Bodens. Die Aufnahme entstand nach der Behebung der Winterschäden (Erneuerung Abspannung, Begradigung des Mastes).

Leider blieb die Verbindung zum Echtzeitsensor in den Folgetagen instabil. Ein erneuter Besuch in Hintergräppelen am 5. Juni zeigte den Grund:

Wasserschaden am Echtzeitsensor in Hintergräppelen, aufgenommen am 5. Juni.

Auch die Ventilation des Strahlungsschutzes der Loggermessung funktionierte an diesem Tag nicht mehr. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass alle elektronischen Geräte der Messstation bis auf den Logger selber durch das Hochwasser zerstört wurden.

Wie lange die Behebung dieser Schäden dauert, ist noch unklar. Priorität hat dabei die Ventilation der Loggermessung, um bald wieder zuverlässige Temperaturwerte tagsüber zu erhalten. In zweiter Linie wird eine baldige Wiederaufnahme der Echtzeitmessungen angestrebt. Da das Projekt komplett privat finanziert ist, muss zuerst die Finanzierung sichergestellt werden – und diese kann mit einer Spende unter

unterstützt werden. Danke für die Mithilfe im voraus!

Nachlese zum Februar 2019

Generell war der Februar 2019 aussergewöhnlich mild im Alpenraum. Langandauernde Hochdrucklagen haben dazu geführt, dass die Luft grossräumig abgesunken sind und sich starke Inversionen ausbilden konnten. Hintergräppelen war hierfür ein Paradebeispiel, wie der Temperaturverlauf der Hauptstation in der Senke im Vergleich mit der Nebenstation gut 35 über dem Kaltluftsee zeigt:

Temperaturverlauf von Hintergräppelen und Mittelberg im Februar 2019

Es traten drei Episoden mit persistenten Kaltluftseen auf: die Inversion wurde dabei über Tage hinweg nicht mehr aufgelöst.

Zwei Ereignisse sollen dabei hervorgehoben werden. Am Morgen des 7. Februars wurde die Inversion innerhalb von kürzester Zeit aufgelöst:

Von 19 UTC des Vorabends bis um 3 UTC (4 Uhr Lokalzeit) verharrte die Temperatur unten in der Senke um -25 °C. Bis um 6 UTC war anschliessend ein langsamer Temperaturanstieg bis auf knapp -19 °C zu verzeichnen, bevor der stärker werdende Höhenwind in die Senke durchgriff und die verbliebene Kaltluft innerhalb von 20 Minuten ausräumte und die Temperatur auf +1 °C ansteigen liess. Über den gesamten Tag wurde eine Amplitude von 30.2 Grad verzeichnet.

Zwischen dem Abend des 12. und dem Morgen des 19. Februars hat sich die Inversion über Hintergräppelen während fast 6 Tagen nicht mehr aufgelöst. Kurz vor Sonnenaufgang am 17. Februar wurde die bisher stärkste Inversion registriert: Auf einer Höhendifferenz von 75 m trat ein Temperaturunterschied von gut 30 Grad aus:

Gut zu beobachten war in dieser Periode auch ein starker Strahlungsfehler: Der Echtzeitsensor in Hintergräppelen ist nicht aktiv ventiliert, die Loggermessung hingegen schon. Jahreszeitlich ist im Spätwinter und im Frühjahr, wenn die Stärke der Sonneneinstrahlung zunimmt und die Albedo durch den Schnee hoch ist, das Potential für grosse Strahlungsfehler am grössten. In der obenstehenden Darstellung zeigt sich, dass in der kurzen Zeit vor dem Mittag, wenn die Sonne auf den Grund der Senke einfällt, die Differenz zwischen ventilierter und unventilierter Temperaturmessung Werte von bis zu 10 Grad annehmen kann.

Vergleicht man die monatliche Darstellung der Quantile der Inversionsstärken in Hintergräppelen, so zeigt sich, dass der Februar 2019 in der kurzen Messreihe eine besondere Stellung einnimmt:

Was die Extremwerte betrifft, war der Monat in Hintergräppelen nicht spektakulär: am 6.2. wurde ein Monatsminimum von -30.2 °C registriert. Wesentlich interessanter ist der Monatsmittelwert von -8.5 °C: Man muss bis zum Jungfraujoch aufsteigen, um ausserhalb von Kaltluftseen einen vergleichbar tiefen Monatsmittelwert zu finden (vgl. z.B. Klimabulletin Februar 2019 von MeteoSchweiz).

Monatstabelle Hintergräppelen Februar 2019