Niedrigstes Minimum des Winters 2022/23 in der Schweiz: -42.4 °C am Sägistalsee

Die tiefste Temperatur des vergangenen Winters in der Schweiz wurde am Sägistalsee gemessen:

MinimumDatumStationKantonHöhe m ü. MMessnetz-betreiberBemerkung
-42.4 °C20.01.2023SägistalseeBE1936kaltluftseen.ch
-38.5 °C20.01.2023GlattalpSZ1858EBS EnergieWetterhütte an Betriebs-gebäude
-35.2 °C20.01.2023GlattalpSZ1858DTN / MeteocentraleMastauf-stellung über Betriebs-gebäude
-33.9 °C20.01.2023Combe des AmburnexVD1285Agroscope / Agrometeo
-32.4 °C12.12.2023HintergräppelenSG1286kaltluftseen.ch
-30.3 °C19.01.2023Sorniot-Lac InférieurVS1990MeteoSchweizInoffizielle Messung, nicht ventiliert
-27.5 °C21.01.2023Kleines MatterhornVS3873DTN / Meteocentrale
-27.0 °C12.12.2023BuffaloraGR1971MeteoSchweiz
-26.9 °C19.01.2023MittelallalinVS3500DTN / Meteocentrale
-26.2 °C12.12.2023SamedanGR1709MeteoSchweiz
-25.8 °C19.01.2023JungfraujochVS3571MeteoSchweiz
-25.6 °C12.12.2022ZuozGR1664DTN / Meteocentrale
-25.5 °C19.01.2023La Chaux-d'AbelBE999kaltluftseen.ch
-25.3 °C11.12.2023La BrévineNE1040MeteoSchweiz

Datenquellen: EBS Energie, MeteoCentrale / DTN, Agroscope / Agrometeo, MeteoSchweiz, kaltluftseen.ch

Grundsätzlich handelt es sich bei dieser Zusammenstellung nicht um eine offizielle Liste.

Der winterliche Sägistalsee, aufgenommen am 12. Dezember 2023 (© Bruno Petroni)

In Echtzeit verfügbar war für den Sägistalsee ein Wert von -42.3 °C. Da am Sägistalsee der LoRaWAN-Empfang grenzwertig ist, wurden nicht alle Messwerte übermittelt. Lokal auf dem Messgerät werden die Daten jedoch in einer Frequenz von 2 Minuten gespeichert. Diese Daten wurden am 28. Mai ausgelesen. Es zeigte sich, dass das definitive Minimum nochmals um 0.1 Grad tiefer liegt:

Ausserhalb des Kaltluftsees in Gipfellagen und in freier Atmosphäre (Quelle der Daten: MeteoSchweiz) auf ähnlicher Höhe wurden Werte gemessen, die 25 bis 30 Grad höher liegen:

Bei diesem extremen Minimum handelt es sich also um ein lokal eng begrenztes Phänomen.

In der Nach vom 11. auf den 12. Dezember 2022 wurde ein weiteres Minimum von unter -40 °C registriert, die Stärke der Inversion lag bei über 30 Grad:

Auch hier war nicht a priori klar, ob die in Echtzeit verfügbaren Daten mit dem tatsächlichen Minimum übereinstimmen. Die Überprüfung zeigte jedoch, dass der Wert von -40.3 °C nicht korrigiert werden muss.

Bei der Auslesung der auf dem Messgerätes gespeicherten Daten lagen im Bereich der Station noch zwischen 70 und 100 cm Schnee (die inzwischen weggetaut sind):

Durch die Lage im Kaltluftsee ist die Ausaperung gegenüber Lagen in ähnlicher Höhe deutlich verzögert. Dies zeigt der Vergleich mit nahe gelegenen Stationen des SLF:

Die Unterschiede der Schneehöhe während der Ausaperung dürfen jedoch nicht in den Hochwinter hinein extrapoliert werden. Die maximale Mächtigkeit der Schneedecke im vergangenen Winter dürfte im Bereich der Messstation am Sägistalsee vermutlich deutlich unter 2 m betragen haben.

Somit war jederzeit – besonders auch an den beiden fraglichen Terminen vom 11. Dezember bzw. vom 20. Januar – eine genügend grosse Distanz zwischen Temperatursensor (Höhe über Grund  = rote Linie) und Schneedeckenoberfläche gewährleistet.

Station am Sägistalsee erstellt

Nach einer Vorlaufzeit von mehr als 5 Jahren konnte am 30. Oktober am Sägistalsee eine gut aufgestellte Messstation errichtet werden.

Bereits im Winter 2021/2022 durften erste Testmessungen weit unten in der Senke an der alten Hütte des Rinderhirten durchgeführt werden:

Alte Hütte für den Rinderhirten am Sägistalsee. An der ostexponierten Stirnseite ist an einer Konsole das Messgerät sichtbar.

Die Messresultate zeigten, dass das Sägistal ein aussergewöhnlich grosses Potential zur Ausbildung einer starken Inversion aufweist. Am 12. Februar 2022 konnte ein Minimum von -38.0 °C registriert werden:

Monatstabelle Sägistalsee Feb 2022
Monatstabelle Sägistalsee Februar 2022

Mit dem Abbruch der alten Hütte musste die Station Anfang Juni 2022 wieder entfernt werden.

Sägistalsee Ende Juli 2022. Rechts hinter dem See ist die neu erstellte Hütte zu erkennen.

Im Herbst 2022 erteilte die Bergschaft Inner-Isleten mit ihrem Präsidenten Alfred Chervet eine Erlaubnis, für zunächst ein Jahr eine freistehende Station aufzustellen.

Für die Wahl eines aus fachlicher Sicht guten Standortes gab es mehrere Kriterien. Grundsätzlich ist ein Standort möglichst weit unten in der Senke erstrebenswert: Hier treten die niedrigsten  Minima auf. haben gezeigt, dass der Sky View Factor (Welcher Anteil des Himmels ist an einem bestimmten Punkt sichtbar?) die beste Erklärung für das Auftreten extrem tiefer Minima ist: Je grösser dieser Wert ist, desto effizienter kann Wärme gegen den Weltraum abgestrahlt werden. Verschneidet man die Tiefenlinien der Senke (schwarze Isolinien) mit dem Sky View Factor, so zeigt sich, dass im tiefsten Bereich der Senke am See ein Bereich mit einem hohen Sky View Factor von 0.90 – 0.95 vorhanden ist:

Sky View Factor im Sägistal. Der Sky View Factor gibt an, welcher Anteil des Himmels an einem Punkt (verglichen mit einer Ebene) sichtbar ist.

Satellitenauswertungen der Landoberflächentemperatur zeigen, dass die tiefsten Temperaturen ungefähr entlang einer von Südwest nach Nordost verlaufenden Linie auftreten, die mit der Talachse zusammenfällt:

Satellitenanalyse von Tim Wright (hydrometeorology.com): Überlagerung der Landoberflächentemperatur vom 18.02.2019 mit einer Auswahl der jeweils kältesten Punkte an verschiedenen Daten.

Die aus fachlicher Sicht vielversprechendsten Standorte für die Erstellung einer Station befinden sich somit im Bereich der gelben Ellipsen.

Weiterhin wurde eine möglichst weitgehende Berücksichtigung der Vorgaben der World Meteorological Organisation (WMO) (u.a. freie Aufstellung in genügendem Abstand zu Hindernissen und Wärmequellen) angestrebt, ebenso ist eine Überschwemmung so wie auch ein Einschneien der Station zu vermeiden.

Von Seiten der Bergschaft wurde ein Standort auf der Ostseite des Sägistalsees gewünscht, was mit den obigen Überlegungen gut zusammenpasst.

Die Bauweise der Station musste auf verschiedene Punkte Rücksicht nehmen:

    • Die Erlaubnis der Bergschaft für den Betrieb der Station wird jährlich neu beurteilt.
    • Das Material muss über mehrere Kilometer Horizontaldistanz und mehrere Hundert Meter Hohendifferenz in alpiner Umgebung ohne maschinelle Unterstützung heran transportiert werden.
    • Aufgrund der Höhenlage ist im Winter mit grossen Schneemengen zu rechnen.

Somit war eine leichte, modulare Konstruktion gefragt, die gut transportierbar ist, in aufgebautem Zustand eine hohe Stabilität aufweist und wenig Angriffsfläche bietet. Die Verankerung musste solide und dennoch einfach rückgängig zu machen sein.

Die Basis bildete ein Teleskopmast aus Aluminium, an welchem mit Verstrebungen vier Winkeleisen montiert werden können.

Winkeleisen bilden eine Querverstrebung, sie werden mit Steinen unterlegt und beschwert.

Der untere Teil des Mast wird einen guten Meter tief in ein Loch eingelassen. Die Winkeleisen werden mit Steinen unterlegt und beschwert, das Loch dann mit dem Aushub aufgefüllt.

Am 30. Oktober 2022 konnte der Aufbau der Station mit grossartiger Hilfe der Familie Lüthi in Angriff genommen werden. Das Material musste von der Bättenalp/Harzisboden (1839 m) auf weglosem Gelände über die Schonegg (2200 m) zum Sägistalsee (1936 m) transportiert werden.

Der Transport des Materials musste früher als erwartet zu Fuss erfolgen…
Die grossartige Landschaft tröstet über die Anstrengung hinweg.
Blick von der Schonegg Richtung Südwesten zum Sägistalsee.

Unten angekommen wurde der Aushub in Angriff genommen:

Das unterste Mastelement mit den Winkeleisen wurde ins Loch eingebracht und mit Steinen unterlegt…

…und mit Steinen und Aushub beschwert. Immer im Auge: die lotrechte Ausrichtung:

Zum Schluss wird das Messgerät Decentlab DL-SHT35-002 sowie der Strahlungsschutz für den Sensor am Mast angebracht. Die Höhe des Sensors über dem Mastfuss beträgt 3.60 m. Diese Höhe weicht von den in der Schweiz üblichen 2 m ab. Ein Einschneien des Sensors sollte somit nur sehr selten, und wenn überhaupt, dann erst spät im Winter erfolgen. In der allermeisten Zeit des Winters sollte die Temperaturmessung also in deutlichem Abstand zur Schneedecke erfolgen.

Die Antenne für die LoRa-Übermittlung befindet sich im Gerätegehäuse, aus diesem Grund wurde dieses zuoberst am Mast montiert.

Hier hier die fertig gestellte Station mit vorbereiteter Einzäunung gegen die Rinder:

Für das Zustandekommen dieser Station bin ich verschiedenen Menschen zu grossem Dank verpflichtet:

  • die Bergschaft „Inner-Isleten“ für die Erlaubnis, auf ihrem Grund eine Station aufzustellen,
  • Chrigel Lüthi für seine grosse und vielfältige Unterstützung bei den Testmessungen und insbesondere beim Aufbau der Station, bei welchem auch seine Frau Ursula und Sohn Flurin grossartige mitgeholfen haben,
  • Norbert Marwan von der Internationalen Speläologischen Arbeitsgruppe Alpiner Karst (ISAAK) hat mein Interesse am Sägistalsee sofort aufgenommen und unterstützt,
  • Michi Kopp, der mit seinen Hinweisen und Vorschlägen für die Installation wesentlich zum Gelingen beigetragen hat,
  • Alexandre Widmer für die Vermittlung des Teleskopmastes. Sein plötzlicher und viel zu früher Tod hat gezeigt, dass man die wichtigen Dinge im Leben nicht aufschieben darf.
  • die Firma Decentlab, welche ihre hochwertigen Messgeräte zu grosszügigen Konditionen zur Verfügung stellt,
  • Tim Wright, who has an extraordinarily broad and at the same time well-founded know-how in meteorology and climatology and who supported me in particular with his satellite analyses.

Literatur

Whiteman, C. D., T. Haiden, B. Pospichal, S. Eisenbach, and R. Steinacker. 2004. “Minimum Temperatures, Diurnal Temperature Ranges, and Temperature Inversions in Limestone Sinkholes of Different Sizes and Shapes.” Journal of Applied Meteorology 43 (8): 1224–36. https://doi.org/10.1175/1520-0450(2004)043<1224:MTDTRA>2.0.CO;2.