Am Anfang stand das Vergessen…

Eigentlich war der Besuch am Sämtisersee am vergangenen Samstag gar nicht geplant – bis ich im Rucksack den Deckel eines Datenloggers fand. Den hatte ich offensichtlich bei meiner letzten Auslesetour Anfang November vergessen, wieder anzubringen – und die Elektronik des Loggers war seither ungeschützt gegen Feuchtigkeit. Der Deckel musste also unbedingt wieder dorthin, wo er hingehörte.

Der Ärger wurde jedoch mehr als kompensiert durch die Impressionen, welche sich beim Besuch gestern morgen ergaben… Während der gesamten Anfahrt und auch das Brüeltobel hinauf dominierten Hochnebel bzw. Nebel, doch kaum am Plattenbödeli angekommen, klarte es auf:

Blick vom Plattenbödeli Richtung Hüser beim Passieren der letzten Nebelschwaden.

Unten in der Senke blies der Wind erstaunlich stark – eigentlich wäre Bise (also Ostwind) zu erwarten gewesen, doch der Wind wehte entlang der Talachse in die entgegengesetzte Richtung. Ob da eine Südost-Komponente im Spiel war, welche den Wind via Saxerlücke zum Sämtisersee umleitete?

Die vergangenen, etwas kühleren Tage mit Nachtfrost haben gereicht, dass der Sämtisersee (bzw. dessen kümmerliche Reste) zugefroren ist. Der tiefe Wasserstand hat das Zufrieren wohl erheblich begünstigt: Das Wasservolumen, welches vorgängig auf 0°C abgekühlt werden muss, war heuer viel geringer als in den Vorjahren. Bei normalem Wasserstand waren in den vergangenen Jahren jeweils eine Schneefallepisode sowie zwei kalte Nächte mit Minima unter -10 °C notwendig, damit sich auf dem See eine Eisdecke ausgebildet hat.

Panoramaaufnahme des gefrorenen Sämtisersees
Noch ist die Eisdecke dünn und teilweise mit Blasen durchsetzt

Die nachfolgende Videosequenz wurde beim Schluckloch aufgenommen, welches den See unterirdisch zum Rheintal hin entwässert. Es ist eindrücklich, wie tief der Wasserspiegel abgesunken ist und wie wenig Wasser versickert…

Durch den tiefen Sonnenstand liegen Teile der Senke ganztägig im Schatten. Bei günstigen Bedingungen taut der Reif hier tagsüber nicht mehr ab und kann über mehrere Tage hinweg anwachsen.

Reifbildung am Sämtisersee

Die Grenze zwischen ganztägig abgeschatteten Bereichen und Gebietsteilen, welche noch durch die Sonne erreicht werden, ist in der Landschaft gut zu erkennen:

Blick Richtung WSW zu den Widderalpstöck. Links die abgeschatteten Bereichen (hier bleibt der Reif erhalten), rechts geht’s dem Reif tagsüber an den Kragen.
Blick in die entgegengesetze Richtung von der Metzigrueb über den (Rest-)Sämtisersee zum Hohen Kasten.

Neben dem Geniessen der Landschaft musste nun noch der ominöse Loggerdeckel angebracht werden, nicht ohne zuvor die aufgelaufenen Daten auszulesen:

Monatstabelle Sämtisersee November 2018

Frosttage hatte der November bisher nur 5 Stück zu bieten, nur zwei Tage wiesen ein negatives Tagesmittel auf. Umso mehr erstaunt es, dass der Sämtisersee zuzufrieren vermochte. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Vertikaldistanz zwischen Messstation und Seespiegel durch die Trockenheit zugenommen hat: Die Temperaturen dürften direkt am See noch tiefer gelegen haben als an der Station.

Beim Abstieg vom Plattenbödeli zum Parkplatz beim Pfannenstiel rückte dann der Hochnebel wieder ins Blickfeld:

Dass die Tour in einem guten Zeitfenster stattgefunden hatte, zeigt die nachfolgende Animation. Am frühen Morgen war die ganze Senke mit Hochnebel gefüllt, bevor er sich für einige Stunden zurückzieht, im Brüetobel kurzzeitig mit Rauhreif besetzte Bäume hinterlässt und im Verlaufe des Nachmittags nochmals hochreichend ins gesamte Tal des Sämtisersees hineinbrandet:

Animation der Webcambilder vom Hohen Kasten (© www.hoherkasten.ch und www.plattenboedeli.ch)

Tropennacht am Sämtisersee knapp verfehlt

Fällt die Temperatur zwischen 18 UTC und 06 UTC des Folgetages nicht unter 20 °C, so wird in der Meteorologie von einer Tropennacht gesprochen (vgl. Wetterlexikon Deutscher Wetterdienst). Im Mittel treten in der Schweiz 0.1 bis 1 Tropennacht pro Jahr auf. Eine Ausnahme bilden die Niederungen des Tessins , die Genferseeregion sowie einige Föhntälern (vgl. auch Fachbericht MeteoSchweiz Nr. 260: Der Hitzesommer 2015 in der Schweiz). Hier treten Tropennächte häufiger auf, im Tessin sind es in den tiefgelegenen Regionen im Schnitt bis zu 10 Stück pro Jahr.

In der jüngeren Vergangenheit wurden diese Durchschnittswerte in zwei Jahren deutlich übertroffen:

  • Im Hitzesommer 2003 wurden im Tessin zum Teil über 40 Tropennächte registriert, in der Genferseeregion gab es 20 Fälle, in der Nordwestschweiz (Fahy, Basel) 5 Fälle und in erhöhten Lagen des Mittellandes und der Voralpen zwischen 7 und 12 Fälle.
  • 2015 war der zweitwärmste Sommer seit Beginn systematischer Wetteraufzeichnungen im Jahr 1864. Während im Tessin deutlich weniger Tropennächte registriert wurden als 2003, traten solche in den Niederungen der Alpennordseite häufiger auf. So wurden in Zürich 2003 nur 2 Tropennächte registriert, im Jahr 2015 jedoch deren 8.

Wie sich die Situation in den Kaltluftseen im Alpstein in diesen Jahren bezüglich der nächtlichen Minima präsentiert hat, ist mangels entsprechender Messungen nicht bekannt. Man könnte jedoch davon ausgehen, dass man lauen Sommernächten in einem Kaltluftsee Abkühlung findet (es sei denn, der Föhn bläst – aber das ist ein anderes Thema…).

Dass dem nicht so ist, hat der vergangene Juni gezeigt. Es war der zweitwärmste Juni seit Beginn der systematischen Aufzeichnungen im Jahr 1864. Der Wärmeüberschuss betrug in allen Höhenlagen 3 – 3.5 °C gegenüber der Referenzperiode 1981 – 2010 (vgl. MeteoSchweiz: Klimabulletin Juni 2017).

Ungewöhnlich warm war die Nacht vom 22. auf den 23. Juni. An verschiedenen Orten wurde das höchste Nachtminimum seit Beginn der automatischen Messungen Anfang der 1980er Jahre registriert. Besonders in der Ostschweiz war es sehr mild: In Güttingen wurde ein Minimum von 25.2 °C, in St. Gallen sank die Temperatur nicht unter 23.2 °C ab und auf dem Hörnli wurden 20.5 °C als Tiefstwert registriert. Verhältnismässig kühl war es in Ebnat-Kappel, wo “nur” 17.1 °C gemessen wurde.

Neben der ausserordentlich warmen Luftmasse waren Wolkenfelder über der Ostschweiz, welche eine effiziente Abstrahlung verhinderten, für die ausserordentlich hohen Minimaltemperaturen verantwortlich. (vgl. auch MeteoSchweiz Blog vom 23.06.2017: Rekordhohe Nachttemperaturen).

Ansatzweise sind Wolkenfelder über der Schweiz erkennbar, welche zusammen mit der sehr warmen Luftmasse für rekordhohe Minima der Lufttemperatur gesorgt haben. (c) sat24.com / Eumetsat / UK MetOffice
Die nachfolgende Abbildung zeigt den Temperaturverlauf am Sämtisersee (gelb), an erhöhter Lage am Rand der Senke der Alp Sämtis (orange) sowie in der Senke auf der Alp Hintergräppelen (blau).

Transparent rot ist der Zeitraum zwischen 18 und 06 UTC dargestellt, welcher gemäss Definition des DWD relevant für die Bestimmung einer Tropennacht ist, der Schwellwert von 20 °C ist als rote Linie eingezeichnet.

Auf der Alp Hintergräppelen herrschten zwischen 19 UTC (entspricht 21 Uhr MESZ) und 21:30 UTC offenbar gute Abstrahlungsbedingungen, welche die Temperatur um mehr als 7 K auf 14.9 °C absinken liess. In diesem Zeitfenster hat der Kaltluftsee gut funktioniert, bevor die Temperatur anschliessend innerhalb einer Stunde wieder um mehr als 6 Grad anstieg. In der zweiten Nachthälfte sank die Temperatur zwischenzeitlich nochmals auf 18.9 °C.

Am Sämtisersee waren die Abstrahlungsverhältnisse vor Mitternacht weniger gut ausgeprägt: Es bildet sich nur kurzzeitig eine Inversion von gut 2 K aus: Die Temperatur unten in der Senke fällt knapp unter die 20 °C-Marke ab, steigt aber umgehend wieder an. Im weiteren Verlauf der Nacht sinkt die Temperatur kurz vor 4 UTC (entspricht 6 Uhr MESZ) nochmals kurzzeitig auf 18.8 °C ab.

Stark bewölkter Himmel über dem Alpstein kurz vor 6 Uhr am Morgen des 23. Juni 2013. Zu diesem Zeitpunkt wurde am Sämtisersee der nächtliche Tiefstwert von 18.8 °C gemessen – eine Tropennacht wurde knapp verfehlt. © Bild: www.hoherkasten.ch / www.plattenboedeli.ch
Auch wenn der Juni durch sehr hohe Temperaturen geprägt war, Abkühlung liess sich zum richtigen Zeitpunkt dennoch finden: In der Nacht vom 7. auf den 8. Juni sank die Temperatur am Sämtisersee auf + 1.2 °C ab und auf der Alp Hintergräppelen wurde in der gleichen Nacht ein ordentlicher Frost von -4.5 °C registriert.

 

Die Folgen des Aprilwinters?

Der Frühling hat nun definitiv Einzug gehalten und die Spuren dieses hartnäckigen Aprilwinters bis in grössere Höhen hinauf getilgt. Mit einer Ausnahme – dazu mehr am Ende dieses Artikels.

Sämtisersee

Am vergangenen Auffahrtsmorgen zeigte er sich von seiner schönsten Seite. Ein Schauer in der Nacht verhinderte eine stärkere Abkühlung und feuchtete zusammen mit dem Sämtisersee die Luft an, was zur Bildung von einzelnen Nebelschwaden führte:

Nebelschwaden über dem Sämtisersee

Bei einer Lufttemperatur von gut 9 °C, Windstille und einer intensiven Sonnenstrahlung liess es sich im T-Shirt bestens aushalten.

Noch vor etwas mehr als einem Monat wäre dieses Outfit nicht wirklich angebracht gewesen. Am Sämtisersee lag eine dicke Schneedecke und am Morgen des 21. Aprils war zum letzten Mal in dieser Saison die partielle Ausbildung einer Eisschicht zu beobachten:

Eisschicht auf dem unteren rechten Drittel des Sämtisersees am Morgen des 21. April 2017

Zuvor war der Sämtisersee am 23. März ein erstes Mal komplett eisfrei, nachdem die Eisdecke am 4. März grossflächig aufgebrochen war. Der Schneefall vom 7. März sowie die nachfolgende kalte Nacht, welche das Monatsminimum von -13.3 °C gebracht hat, lieferten die Voraussetzungen, dass der See nochmals kurz zufror.

Insgesamt war der März am Sämtisersee ausserordentlich mild. An keinem einzigen Tag blieb die Temperatur ganztags unter 0 °C, an immerhin 19 Tagen wurden Minimaltemperaturen von unter 0 °C verzeichnet.

Der April knüpfte temperaturmässig dort an, wo der März aufgehört hatte – allerdings nur bis zur Monatsmitte, dann kam der Winter mit aller Macht zurück. Die 20 Frostwechseltage sind dabei weniger erstaunlich als die Tatsache, dass die vier Eistage allesamt in der zweiten Monatshälfte zu verzeichnen waren. Das Monatsminimum von -13.5 °C war um 0.2 K tiefer als dasjenige vom März und dass die monatliche Durchschnittstemperatur um ganze 1.1 K tiefer als im Vormonat lag, dürfte aussergewöhnlich sein.

Im bald zu Ende gehenden Mai gab es bisher noch 5 Tage mit Luftfrösten (letztmals am 20. Mai). Die Tagesmaxima lagen ab dem 10. Mai regelmässig über 15 °C, am 17. Mai wurde erstmals in diesem Jahr die 20 °C-Marke erreicht.

Hintergräppelen

Im Kaltluftsee auf der Alp Hintergräppelen lag das Monatsmittel im März gut 2 K tiefer als am Sämtisersee. Am 7. März gab es den einzigen Eistag des Monates und am darauffolgenden Morgen wurde das Monatsminimum von -20.0 °C registriert. An zwei weiteren Tagen traten Minima von unter -10 °C auf.

Wie auch am Sämtisersee war die Temperaturentwicklung im April absolut ungewöhnlich. Üblicherweise ist im März und im April durch die Einstrahlung bedingt eine starke Zunahme der Temperatur zu beobachten, einzelne Kälterückfälle können immer wieder beobachtet werden. Ausmass und Dauer der Kälteperiode in der zweiten Aprilhälfte dürften jedoch – auch ohne, dass Vergleichswerte aus dem Gebiet vorliegen – aussergewöhnlich sein. Die Monatsmitteltemperatur lag um 0.3 K tiefer als diejenige vom März. Das Monatsminimum von -27.3 °C sowie fünf weitere Tage mit Minima von unter -10 °C traten allesamt in der zweiten Monatshälfte auf:

Während am Sämtisersee im zu Ende gehenden Mai noch 5 Frosttage registriert wurden, waren es in Hintergräppelen 16 Tage mit Luftfrost (Stichtag: 25. Mai):

Zum Schluss eine Beobachtung aus dem Kaltluftsee der Alp Hintergräppelen: Die meisten Fichten in der Senke weisen eine starke bis komplette Rotverfärbung der Nadeln auf und  teilweise sind die verfärbten Nadeln bereits abgefallen. Die Obergrenze dieser Rotverfärbung fällt ungefähr mit dem oberen Rand der Senke zusammen.

Am plausibelsten erscheinen mir die Erklärungen, welche in der Publikation von aufgeführt sind:

  • Die Frosthärte der Fichte unterliegt einer jahreszeitlichen Schwankung, die kritische Temperatur liegt zwischen -5 und -37 °C.
  • Bereits nach einigen warmen Tagen im Winter beginnt die Enthärtung, die Bäume werden gegenüber Kälteeinbrüchen verwundbar.
  • Je nach Stärke der Frosteinwirkung sind nur die Nadelspitzen des jüngsten Nadeljahrgangs betroffen, bei starken Einwirkungen kann die gesamte Krone betroffen sein.
  • Prinzipiell wird zwischen drei Schädigungsformen unterschieden:
    • Erfrierungsschäden treten auf, wenn die Temperatur unter die aktuelle Frosthärte der Fichte absinkt.
    • Frostwechselschäden treten bei häufigem Auftauen und Wiedergefrieren auf, die Folgen sind mit denjenigen bei tiefen Temperaturen vergleichbar.
    • Frosttrocknis tritt auf, wenn wegen starker Sonneneinstrahlung die Fichte über die Krone Wasser verdunstet, während der gefrorene Boden das Defizit nicht ausgleichen kann.
  • Nadelverrötungen treten im Schnitt alle 10 Jahre auf, das letzte grössere Ereignis wurde im  Winter 1986/87 in der Zentral- und Ostschweiz registriert.
  • So dramatisch das Schadensbild aussieht: Die Bäume haben eine erstaunliche Regenerationsfähigkeit und erholen sich in den Folgejahren, nur verhältnismässig wenige Bäume sterben ab. Die Schwächung macht die Bäume jedoch anfällig auf Borkenkäferbefall.

Zwischen dem 17. März und dem 18. April wurden auf der Alp Hintergräppelen keine Temperaturen mehr unter -10 °C registriert. Zwar traten starke tägliche Temperaturschwankungen auf: Frostwechseltage mit z.T. mehr als 20 K Temperaturdifferenz sind jedoch in den Übergangsjahreszeiten in einem ausgeprägten Kaltluftsee keine aussergewöhnlichen Erscheinungen, vermutlich sind die Bäume diese Schwankungen gewohnt. Der plötzliche Kälteeinbruch, welcher die Temperatur auf bis zu -27.3 °C absinken liess (vgl. auch Es lächelt der Kaltluftsee, er ladet zum Bade…) und die gleichzeitig starke Sonnenstrahlung dürften wahrscheinliche Gründe für die Nadelverrötung sein.

Als forstkundlich nur mässig bewanderter Zeitgenosse bin ich für Präzisierungen und Berichtigungen dankbar!

Literatur:

Engesser, Roland, Beat Forster, and Werner Landolt. 2002. “Frostschäden an Nadelbäumen Im Winter 2001/2002 Und Deren Folgen | Frost Damage to Conifers in Winter 2001/2002 and Its Influence on Tree Development.” Schweizerische Zeitschrift Fur Forstwesen 153 (12): 471–75. https://doi.org/10.3188/szf.2002.0471.

 

 

 

Schweizweit tiefste Temperaturen des Winters 2016/17 im Alpstein gemessen

Am 6. und 7. Januar 2017 wurden die tiefsten Temperaturen des zu Ende gehenden Winterhalbjahres gemessen. Zwei Stationen im Alpstein führen die Liste der kältesten Orte der Schweiz an.

Einfliessende arktische Kaltluft liess die Temperatur am Abend des 6. Januar 2017 auf der Alp Hintergräppelen im Obertoggenburg bis auf -38.2 °C sinken (vgl. -38.2 °C in Hintergräppelen – die Messlatte ist gesetzt und Endlich ist der Winter da!). In der gleichen Nacht wurde am Sämtisersee ein Minimalwert von -33.4 °C registriert.

Die Alp Hintergräppelen am Vormittag des 6. Januar 2017.

Auf der Alp Hintergräppelen wurden an 5 Tagen im Januar -30 °C erreicht oder unterschritten. Zum Vergleich: In La Brévine betrug der Tiefstwert dieses Winters -29.9 °C.

Gleich kalt wie am Sämtisersee wurde es auf der Glattalp im Kanton Schwyz. In der Combe des Amburnex im Waadtländer Jura war es mit -33.0 °C nur unwesentlich wärmer. La Brévine, die kälteste bewohnte Ortschaft der Schweiz, hat die Marke von -30 °C knapp verfehlt.

In den Hochlagen der Berner und Walliser Alpen wurden die tiefsten Temperaturen am 17. Januar gemessen. Ein Vorstoss hochreichender Polarluft führte auf dem Kleinen Matterhorn zu einem Tiefstwert von -30.2 °C, auf dem Jungfraujoch wurden -27.6 °C gemessen.

Die Spitzenreiter aus den Messnetzen von kaltluftseen.ch, Agrometeo, MeteoSchweiz und MeteoGroup sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt:

TiefstwertMessortDatumMessnetzbetreiber
-38.2 °CHintergräppelen / SG6.1.2017www.kaltluftseen.ch
-33.4 °CSämtisersee / AI7.1.2017www.kaltluftseen.ch
-33.4 °CGlattalp / SZ6.1.2017MeteoGroup
-33.0 °CCombe des Amburnex / VD6.1.2017Agrometeo
-30.2 °CKl. Matterhorn / VS17.1.2017MeteoGroup
-29.9 °CLa Brévine / NE6.1.2017MeteoSchweiz
-27.6 °CJungfraujoch / VS17.1.2017MeteoSchweiz
-26.9 °CGais / AR7.1.2017MeteoGroup
-26.9 °CCorvatsch / GR6.1.2017MeteoSchweiz
-26.2 °CSamedan / GR 7.1.2017MeteoSchweiz
-25.9 °CBuffalora / GR7.1.2017MeteoSchweiz
-25.2 °CRothenthurm / SZ7.1.2017MeteoGroup

 

Der Föhn: Ein häufiger Spielverderber am Sämtisersee

Föhn und Kaltluftseen vertragen sich etwa so gut wie dies sprichwörtlich Hund und Katze tun. Mein Eindruck ist subjektiv (entsprechende Messungen fehlen), aber eindeutig: Am Sämtisersee hat der Kaltluftsee eigentlich keinen Stich gegen den Föhn, wenn er (und das tut er oft) vom Rheintal her mit Macht über die Stauberenkette drängt, bei der Saxerlücke sein grösstes Einfalltor findet und dann der Talachse entlang durch die Alp Sämtis pfeift.

Bei meiner vorletzten Auslesung der Datenlogger am 20. November 2016 sah das so aus (unbedingt mit Ton anschauen!):

Mangels Messungen darf spekuliert werden: Ein Mittelwind von 7 Bft (50 – 61 km/h)  würde ich als absolute Untergrenze annehmen, vermutlich war die Windgeschwindigkeit noch höher.

Betrachten wir den Temperaturverlauf am Sämtisersee (blaue Kurve = Station unten in der Senke, orange Kurve = Nebenstation auf Höhe des Überlaufpunktes) und auf der Alp Hintergräppelen (graue Kurve = Station unten in der Senke):

Am Abend des 19. Novembers 2016 beginnt sich am Sämtisersee ein Kaltluftsee auszubilden, die Inversion ist jedoch nur schwach. Kurz vor 20 Uhr UTC setzt Föhn ein, die Temperatur steigt markant an und die Inversion wird ausgeräumt.

Auf der Alp Hintergräppelen bricht der Föhn mit Verzögerung durch. Das Temperaturniveau ist mit demjenigen vom oberen Rand am Sämtisersee vergleichbar, was mit der ähnlichen Höhenlage korrespondiert. Auffällig sind die regelmässigen Ausreisser nach unten. Es scheint, als ob der Föhn hier nicht mit der gleichen Konstanz bläst und immer wieder schwächelt.

Die Föhnphase dauert bis zum Nachmittag des 25. Novembers, als eine Kaltfront die Temperatur innerhalb von 20 Minuten um 10 K absinken liess. Die Föhndauer von 137 Stunden ist sehr hoch (vgl. auch http://www.meteoschweiz.admin.ch/home/aktuell/meteoschweiz-blog.subpage.html/de/data/blogs/2016/11/immer-noch-foehn.html).

Einschränkend ist zu erwähnen, dass eine ausschliesslich über die Temperaturverhältnisse abgeleitete Definition von Föhn grob bis unzulässig vereinfachend ist. An der MeteoSchweiz wird ein automatisiertes Verfahren zur Bestimmung von Föhn angewendet, welches als Eingangsgrössen Stationsdaten von Windgeschwindigkeit, Böenspitzen, Windrichtung, relativer Luftfeuchtigkeit und potentieller Temperatur nutzt und diese Messwerte in Relation zu einer Referenzstation (Gütsch) setzt . Da diese Daten am Sämtisersee und auf Hintergräppelen jedoch nicht zur Verfügung stehen, ist eine Näherung auf der Basis der Temperaturverhältnisse die einzige Möglichkeit.

Noch eindrücklicher war die Situation bei der letzten Auslesung der Logger am 22. Januar 2017. Die Anreise zum Sämtisersee erfolgte am Abend des 21. Januars 2017. Am Parkplatz beim Pfannenstiel am Ausgang des Brüeltobels ergab eine Handmessung einen Wert von -11 °C. Der Himmel war sternenklar und es herrschte absolute Windstille. Oben beim Plattenbödeli wehte ein mässiger Föhn und vom Dach des Berggasthauses tropfte es… Die Auslesung am folgenden Morgen fand bei starkem Föhn und einer Temperatur von knapp +5 °C statt. Hier wiederum eine Filmsequenz von der Alp Sämtis:

Die Schneefahnen auf dem Saxerfirst und den Widderalpstöck zeigen die Richtung des Höhenwindes an, das Schneefegen am Talboden weist in die entgegengesetzte Richtung.

Wir springen nun 15 km Richtung WSW ins Gräppelental. Während der Fahrt von Brülisau nach Alt St. Johann sind wir unter die Inversion abgetaucht (-10 °C am Autothermometer im St. Galler Rheintal) und steigen anschliessend wieder aus der Nebelsuppe auf. Erste Feststellung beim Aussteigen aus dem Auto: Es ist praktisch windstill. Beim südexponierten Anstieg zur Risi ist der Schnee fast frühlingshaft sulzig, die Lufttemperatur liegt deutlich über 0 °C. Beim Übergang ins Gräppelental ändert sich die Hangexposition und pro Flächeneinheit erhält der Boden viel weniger Strahlung. Dies führt dazu, dass der Oberflächenrief auf der Schneedecke auch tagsüber erhalten bleibt:

Der Oberflächenreif ist darüber hinaus ein Indiz, dass hier der Föhn mindestens in der vorangehenden Nacht nicht geweht hat.

Die Lufttemperatur ist zwar noch positiv, es ist aber deutlich frischer als während des Aufstieges:

Unten in der Senke auf der Alp Hintergräppelen muss es noch einiges kälter sein: Während oben nur noch wenig Schnee auf den Bäumen liegt, sind sie unten in der Senke noch komplett weiss. Hier hat der Föhn in den vorangegangenen Tagen sicher nie geblasen:

Und tatsächlich, auf 40 m Höhendifferenz gibt es auch an diesem Tag einen Temperaturgradient von fast 16 K, die Inversion ist tagsüber noch voll ausgebildet:

Ein Blick vom Hochwinter in den Vorfrühling:

Die Auslesung des Datenloggers fördert erstaunliche Werte zutage:

Während am Sämtisersee am Morgen des 22. Januars der Föhn bei 5 Grad blies, lag hier die Kaltluft bei -28 °C bleischwer in der Senke… Auch an den Vortagen ist auf der Alp Hintergräppelen ein schön ausgeprägter Tagesgang zu beobachten. Der Föhneinsatz am Sämtisersee ist bemerkenswert: Der Temperaturanstieg beträgt 9.5 K in 10 min, 14.5 K in 20 min und 18.5 K in 50 min.

Ein Erklärungsansatz (der von Föhnexperten gerne korrigiert werden darf!) für die Föhnanfälligkeit des Sämtisersees  ist die Lage relativ zum Rheintal. Dessen Talachse ist bis in die Gegend von Buchs gegen die südliche Alpsteinkette gerichtet. Stauberenkette bzw. Furgglenfirst werden überströmt, vor allem bei der Saxerlücke (der am südwestlichsten gelegene kleine rote Pfeil) als niedrigstem Übergang. In der Senke der Alp Sämtis weht der Föhn dann häufig aus SW, er richtet sich auch hier entlang der Talachse aus.

Die Alp Hintergräppelen scheint dagegen eine deutlich geringere Föhnanfälligkeit aufzuweisen, sie liegt etwas ausserhalb des Föhn-Hotspots Rheintal.

Literatur

Dürr, Bruno. 2008. “Automatisiertes Verfahren Zur Bestimmung von Föhn in Alpentälern.” 223. Arbeitsbericht MeteoSchweiz. Zürich: Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie MeteoSchweiz. http://www.meteoschweiz.admin.ch/content/dam/meteoswiss/de/Ungebundene-Seiten/Publikationen/Fachberichte/doc/ab223.pdf.

Im oder über dem Kaltluftsee – wie gross ist der Unterschied?

Der Dezember 2016 war durch beständige Hochdrucklagen und damit einhergehend durch eine ausserordentliche Schneearmut geprägt (vgl. auch Klimabulletin Dezember 2016 von MeteoSchweiz). So sehr dieser Umstand Skifahrer und Skitourengänger leiden liess, so sehr durften sich Freunde von Natureisbahnen über Schwarzeis auf verschiedenen höher gelegenen Seen in den Alpen sowie im Jura freuen.

Die Kahlfröste führten überdies dazu, dass Kaltluftseen sichtbar gemacht wurden: Wo die Temperatur unter 0 °C sank und der Taupunkt erreicht wurde, setzte Reifbildung ein. Im Schatten überdauerte der Reif zum Teil mehrere Tage. Eines der schönsten Bilder stammt vom Fälensee und wurde von Christian Burth geschossen:

Von der Webcam auf dem Hohen Kasten gibt es eindrückliche Bilder des Sämtisersees. das untenstehende wurde am 10. Januar um 8 Uhr Lokalzeit aufgenommen:

Quelle: www.plattenboedeli.ch / www.hoherkasten.ch

Praktisch der gesamte Bereich des Kaltluftsees unterhalb der unteren Waldgrenze (diese ist nicht temperaturbedingt, sondern auf die Bewirtschaftung zurückzuführen) ist reifbedeckt. Eine Ausnahme bildet der von der Kamera aus gesehen obere rechte Bereich: Dieser erhält als einziger zu dieser Zeit im Jahr kurz direkte Sonneneinstrahlung, welche ausreicht, um den Reif zum Verschwinden zu bringen.

Wie gross ist der Temperaturunterschied zwischen dem Grund und dem oberen Rand des Kaltluftsees? Zum Zeitpunkt der Aufnahme wurden an der Station am Sämtisersee eine Temperatur von -6.6 °C gemessen. Eine kleine Nebenstation, welche am südlichen Rand des Kaltluftsees auf der Höhe des Überlaufpunktes liegt, hat zum gleichen Zeitpunkt eine Temperatur von 3.8 °C registriert: Auf 70 m Höhendifferenz resultierte also eine Temperaturdifferenz von 10.4 Grad.

Wie ist dieser Wert einzuordnen? Für den Zeitraum von Anfang Oktober bis zur letzten Auslesung der Logger am 22. Januar wurden die Temperaturunterschiede zwischen dem Grund und dem oberen Rand des Kaltluftsees am Sämtisersee ausgewertet und graphisch dargestellt. Hier das Beispiel für den Oktober 2016:

Zuerst eine Erklärung der Darstellung:

  • Auf der Y-Achse ist die Temperaturdifferenz aufgetragen. Ist die Temperatur unten kälter als oben, weist die Differenz ein negatives Vorzeichen auf. In diesem Fall liegt eine Inversion vor und der Kaltluftsee ist ausgeprägt – je negativer der Wert, desto stärker. Umgekehrt weist ein positives Vorzeichen auf durchmischte Verhältnisse hin.
  • Auf der X-Achse ist die Zeit an einem beliebigen Tag im entsprechenden Monat dargestellt.
  • Für jeden Zeitpunkt eines Tages gibt es so viele Werte, wie es Tage im Monat hat: Wir haben z.B. an jedem Tag im Monat Oktober um 12:00 einen Wert vorliegen, insgesamt 31 Stück.
  • Pro Zeitpunkt kann mit diesen 31 Werten nun etwas Statistik betrieben werden. Folgende Werte werden berechnet:
    • Das Minimum und das Maximum dieser 31 Werte,
    • Der Median (die Hälfte aller Werte ist grösser als der Median, die andere Hälfte ist tiefer)
    • Die 90 %-, 75 %-, 25 %- und 10 %-Quantile (10%-Quantil bedeutet z.B., dass 10 % aller Werte höher sind als dieser Wert)

Was können wir daraus ableiten? Es liegt nun für jeden Zeitpunkt im Tag eine Häufigkeitsverteilung vor und wir können die Charakteristik des Oktobers 2016 hinsichtlich der Temperaturdifferenzen in der Senke des Sämtisersees erfassen:

  • Das Maximum schwankt zwischen ca. 1 und 3 Grad: Diese Werte weisen auf den ersten Blick auf eine ausserordentlich labile Schichtung hin. Die nackten Zahlen sind jedoch zu interpretieren, vgl. weiter unten.
  • Die Schwankungen der 10 %- und der 25 %-Quantile sind recht homogen über den Tag verteilt. Um die Mittagszeit herum sowie in der Nacht sind die Werte leicht erhöht, am Vormittag zwischen 5 – 9 UTC und am Nachmittag 15 – 19 UTC sind die Werte stabiler. Die stabileren Phasen am Vor- bzw. Nachmittag fallen in die Zeit, in welcher üblicherweise die grössten Temperaturänderungen (Erwärmung am Morgen bzw. Abkühlung am Abend) zu beobachten sind.
  • Der Median liegt bei 0.6 °C (+-0.4 K)
  • Während die positiven Differenzen relativ eng geschart sind, gibt es bei den negativen Differenzen (für einen Kaltluftsee wenig überraschend) grössere Schwankungen.
  • Auffällig ist der deutliche Anstieg des Minimums und der 90%-Quantile um die Mittagszeit herum: Die noch relativ starke Sonneneinstrahlung vermochte eine allenfalls vorhandene Inversion in jedem Fall spätestens bis um 13 UTC aufzulösen.

Bei der Interpretation dieser Zahlen müssen jedoch folgende Punkte berücksichtigt werden:

  • bei der Nebenstation am oberen Rand des Kaltluftsees kommt aus Kostengründen eine andere Sensorik zum Einsatz als an der Hauptstation am Sämtisersee,
  • die Sensorik an der Nebenstation ist in einem passiv ventilierten Strahlungsschutz untergebracht, während dem die Hauptstation aktiv ventiliert wird,
  • die kleinräumige Variabilität ist nicht nur während ausgeprägten Inversionslagen sehr gross: in Föhnsituation wurden während Böen mit einem Handthermometer Temperatursprünge von 2 – 3 Grad in wenigen Sekunden registriert. Erfasst eine Föhnböe also nur die untere Station, so resultiert dies in einer sehr starken Temperaturabnahme mit der Höhe.

Für die Folgemonate werden nur noch die wichtigsten Punkte andiskutiert:

Im November ist der Bereich zwischen dem Maximum und dem Median recht vergleichbar mit dem Oktober. Inversionslagen werden jedoch langsam häufiger und die Auflösung erfolgt nur noch an knapp 3 von 4 Tagen. Das Minimum liegt leicht tiefer als im Oktober.

Im Dezember 2016 wurde die Inversion nur noch an ca. einem von vier Tagen aufgelöst. Die Inversion war (trotz fehlendem Schnee) deutlich intensiver ausgeprägt. Auch tagsüber traten regelmässig negative Temperaturdifferenzen von 5 Grad und mehr auf, die maximalen Differenzen nehmen Beträge von mehr als 10 Grad an – hier sei nochmals auf die Webcam-Aufnahme am Anfang des Beitrages hingewiesen.

Für den Januar 2017 flossen Werte bis zum 22. des Monats ein, die Auswertung ist daher provisorisch. Die Statistik wird massiv durch den Kaltlufteinbruch vom 6./7. Januar geprägt, wo am frühen Morgen des 7. Januar die bisher stärkste Inversion von 19.1 K registriert wurde. Dieser Wert ist beachtlich, aber im Vergleich mit Messungen von anderen Orten nicht ausserordentlich. Am Grünloch in Österreich wurden bereits Beträge von 30 K registriert.

Wintereinbruch von Ende April 2016

Am 28. April 2016 wurde um 04:00 Uhr MESZ mit -7.6 °C die tiefste Temperatur des Monats registriert:

Durch eine Troglage floss am Vortag polare Kaltluft in den Alpenraum ein. Diese kam unter den Einfluss eines Zwischenhochs, was zu einer weitgehenden Wolkenauflösung führte.

Im Flachland der Alpennordseite wurden für die Jahreszeit sehr tiefe Temperaturen gemessen ).

Auch in anderen Teilen von Europa setzte dieser Wintereinbruch den Schlusspunkt unter einen sehr milden Winter 2015/2106 (vgl. z.B. https://de.wikipedia.org/wiki/Wintereinbruch_in_Mitteleuropa_April_2016)

Am Sämtisersee war der Boden zwar schneebedeckt, der See war jedoch bereits seit Anfang April eisfrei. Das Potential für ausserordentliche tiefe Temperaturen war somit nicht mehr gegeben. Der gemessene Minimalwert liegt zwar höher als derjenige von La Brévine (-10.8 °C) oder Andermatt (-9.8 °C), korrigiert um die Höhenlage ist der Wert jedoch einer der tiefsten in der Schweiz.

Literatur

MeteoSchweiz. 2016. “Frostige Nacht.” MeteoSchweiz-Blog. April 28, 2016. http://www.meteoschweiz.admin.ch/home/aktuell/meteoschweiz-blog.subpage.html/de/data/blogs/2016/4/frostige-nacht.html.