Ein denkwürdiger Januar ist vorüber

Der Januar 2018 wird als ausserordentlich mild in Erinnerung bleiben.

Schweizweit betrugen die Abweichungen der Temperatur gegenüber der Normperiode 1981-2010 1 – 6 Grad. Die geringsten Abweichungen wurden auf der Alpensüdseite sowie in den höheren Lagen der Alpen registriert. Die grössten Abweichungen wurden in den tieferen Lagen auf der Alpennordseite verzeichnet. In der Kartendarstellung von MeteoSchweiz stechen die Regionen besonders hervor, in welchen SwissMetNet-Stationen in Kaltluftseen besonders in die Interpolation eingehen (La Brévine, Tänikon, Delémont):

Abweichung der Monatsmitteltemperatur im Januar 2018 gegenüber der Normperiode 1981 - 2010
Quelle: http://www.meteoschweiz.admin.ch/home/klima/schweizer-klima-im-detail/monats-und-jahresgitterkarten.html?filters=temp_anom_2018_01_2018

Auf Basis der Echtzeitdaten, welche hier verfolgt werden können, kann für die Station im Kaltluftsee von Hintergräppelen ebenfalls eine erste Einordnung vorgenommen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Temperaturfühler des Echtzeitsensors zwar strahlungsgeschützt, jedoch nicht aktiv ventiliert wird. Die Temperatur weist somit an sonnigen, windstillen Tagen einen Fehler auf.

Mit -0.3 °C war die Monatsmitteltemperatur in Hintergräppelen ausserordentlich hoch. Langjährige Vergleichswerte sind hier keine vorhanden, zur Einordnung dennoch zwei  Vergleiche:

  • Dieser Wert ist identisch mit dem Januarmittelwert der Normperiode 1981/2010 der gut 700 m tiefer gelegenen Station Tänikon (Link zur Quelle).
  • Im Vorjahr wurde der kälteste Januar seit 1987 registriert, der Januarmittelwert in Hintergräppelen -12.7 °C. Als Kontextinformation sei auch in diesem Fall auf die Darstellung der Temperaturanomalien der MeteoSchweiz verwiesen, welche in Tallagen der Alpennordseite eine negative Abweichung von 4 Grad und mehr zeigt.

Das Monatsminimum von -18.9 °C darf ebenfalls als sehr hoch gewertet werden.  Seit Beginn der Messungen im Herbst 2016 wurden in jedem Wintermonat zwischen November und April tiefere Minima registriert. Eine Ausnahme bildet der Dezember 2016: Damals hat die fehlende Schneedecke dazu geführt, dass die Abstrahlungsbedingungen nicht ideal waren und das Monatsminimum nur bei -14.0 °C lag. Dennoch wurde ein Monatsmittelwert von -4.3 °C erreicht.

Frostwechseltage wurden an immerhin 25 Tagen registriert, Eistage gab es nur 2 Stück – auch diese Werte sind typischerweise eher im November oder im März zu erwarten…

Insgesamt waren im Januar 2018 mehrere der notwenigen Faktoren für die Ausbildung starker Inversionen nicht erfüllt. Die häufigen Westlagen haben sehr milde Ausgangsluftmassen herangeführt, damit verbunden waren viele Wolken und eine hohe mittlere Windgeschwindigkeit.

Mindestens für die erste Februardekade sind die Aussichten um einiges besser…

 

 

 

 

 

 

Ein erstes Lebenszeichen des Winters 2017/18

Die vergangenen Tage haben der Schweiz in mittleren und höheren Lagen eine erste winterliche Episode beschert.

Ein erster Schub mit Kaltluft erreichte die Schweiz am vorletzten Sonntag und brachte auf der Alpennordseite oberhalb von 1300 bis 1800 m eine geschlossene Schneedecke. In der Folge stand die Schweiz unter dem Einfluss eines Höhentiefs über Norditalien, welches trübes, mässig kühles und teilweise nasses Wetter zur Folge hatte.

Auf das letzte Wochenende hin stellte die Wetterlage erneut um: eingebettet in eine nordwestliche Höhenströmung führten zwei Tiefdruckgebiete, begleitet von starken bis stürmischen Winden, zuerst milde und feuchte Luft zu uns.

Im Alpstein setzte das Tauwetter der Schneedecke arg zu, wie der folgende Bildvergleich zeigt.

Am 10. Oktober lag am Sämtisersee (~1209 m) noch Schnee… (© Bild: www.hoherkasten.ch / www.plattenboedeli.ch)
…. und am Mittag des 12. Novembers war die Schneedecke bis auf eine Höhe von 1600 m abgeschmolzen. (© Bild: www.hoherkasten.ch / www.plattenboedeli.ch)

Am Nachmittag des 12. Novembers erfasste eine markante Kaltfront die Schweiz und liess die Schneefallgrenze binnen kurzer Zeit weit unter 1000 m sinken.

Mit Hilfe der Daten der automatischen Niederschlagstation Starkenbach von MeteoSchweiz lässt sich die Schneemenge, welche von Sonntag Abend bis in die Nacht von Montag auf Dienstag auf der Alp Hintergräppelen gefallen ist, näherungsweise auf etwas weniger als einen halben Meter abschätzen:

Vor der Kaltfront, welche anhand des Temperaturverlaufes von Hintergräppelen gut zu erkennen ist, fielen knapp 60 mm flüssiger Niederschlag. Mit dem Durchgang der Kaltfront sank die Schneefallgrenze rasch unter 1000 m ab und bis Dienstag Mitternacht fielen 38 mm Niederschlag in Form von Schnee.

 

 

 

 

 

Diese Grössenordnung wird im übrigen auch durch die Messungen an den manuellen Stationen Iltios und Schwägalp des SLF gestützt

Widmen wir uns dem Temperaturverlauf der Station Hintergräppelen:

Folgende Aspekte fallen auf:

  • Üblicherweise ist die erste windstille und klare Nacht nach einem Neuschneeereignis die kälteste. Diese Regel hat sich auch diesmal bestätigt – wenn auch nur knapp: Am 14. November wurde ein Minimum von -21.9 °C gemessen, an den beiden Folgetagen betrug dieses jeweils -21.5 °C.
  • Spannend ist der Umstand, dass die nachmittägliche bzw. abendliche Ausgangslage hinsichtlich der vorangehenden Maxima recht unterschiedlich war: zwei ganz knappe Eistage am Montag und Dienstag und dann sagenhafte -10.5 °C am Mittwoch (dazu weiter unten noch mehr). Auf die Minima der folgenden Nacht hatte diese Ausgangslage jedoch keinen Einfluss.
  • Am Freitag, dem 17. und Samstag dem 18. November lag das Minimum gut 5 Grad höher als an den vorangegangenen Tagen. Die nächtliche Abstrahlung war nicht mehr ideal (aufziehende hohe Wokenfelder), aber dennoch gross genug, um Tagesamplituden von 20 Grad zu realisieren.
  • Bleibt das Tagesmaximum von -10.5 °C am 15. November, welches augenfällig ist. Letztmals traten derart tiefe Maxima im Januar dieses Jahres auf, man kann also bezogen auf die Minima durchaus von hochwinterlichen Bedingungen sprechen.

In Fällen wie am 15. November bietet sich der Vergleich mit der freien Atmosphäre an: Bleibt es auch tagsüber kälter als auf gleicher Höhe ausserhalb eines Kaltluftsees (die Inversion bleibt erhalten), so spricht man von einem persistenten Kaltluftsee (engl. persistent Cold Air Pool (PCAP) . Zwar steht über dem Kaltluftsee von Hintergräppelen seit dem 27. September dieses Jahres eine separate Temperaturmessstation, diese liefert jedoch keine Echtzeitdaten und steht daher nur mit zeitlichem Verzug zur Verfügung. Somit bleiben Messstationen aus der Nähe übrig, um Hinweise auf den Temperaturverlauf in der freien Atmosphäre zu erhalten. Am nächsten liegt zwar die Station Säntis, für Vergleichszwecke ist der grosse Höhenunterschied von 1200 m jedoch nicht ideal. Etwas weiter entfernt liegt die IMIS-Station Amden-Bärenfall (1610 m) sowie die SwissMetNet-Station Hörnli (1132 m). Darüber hinaus ist die Webcam auf dem Iltios tagsüber sehr hilfreich, um die Bewölkungsverhältnisse abzuschätzen.

Webcambild https://iltios.roundshot.com vom 14.11.2017 16:30. Den ganzen Tag über bedecken Hochnebelbänke die Alpsteinketten.
Webcambild https://iltios.roundshot.com vom 15.11.2017 16:40. Der Tag ist wolkenlos, erst am späten Nachmittag zieht Hochnebel auf, dessen Top auf etwa 1200 m liegt.
Webcambild https://iltios.roundshot.com vom 16.11.2017 16:50. Hohe Wolkenfelder behindern die Abstrahlung.

Die Daten des Hörnli helfen in diesem Fall nicht viel weiter, die (hier nicht gezeigten) Daten der Luftfeuchte legen nahe, dass dessen Gipfel im Hochnebel liegt. Die Station Bärenfall des SLF führt uns aber auf die richtige Spur. Sie liegt 400 m höher als Hintergräppelen und weist eine ab Mitternacht des 15. Januars eine stark steigende Temperatur auf. Gleichzeitig lässt der Temperaturverlauf von Hintergräppelen darauf schliessen, das die Ausstrahlung ungehindert ist: Der Temperaturanstieg an der Station Bärenfall ist also auf grossräumiges Absinken (Subsidenz) im Hochdruckgebiet zurückzuführen, welche in der Höhe (ausserhalb von Muldenlagen) zu sehr milden und trockenen Bedingungen führt. Die Webcambilder von Iltios zeigen entsprechend ganztags einen praktisch wolkenlosen Himmel. Diese extrem starke und stabile Inversion bei gleichzeitig windschwachen Verhältnissen liesst die Temperatur in Hintergräppelen ganztags bei unter -10 °C verharren.

Am folgenden Tag, dem 16. November, zogen dichte hohe Wolkenfelder auf, welche die Abstrahlung stark dämpften. Tagsüber brach die Inversion wieder auf (vermutlich lag auch noch etwas Windunterstützung vor, hier wären jedoch Messdaten aus dem Gebiet notwendig) und das Maximum lag mehr als 10 Grad höher als noch am Vortag (der genaue Wert wird sinnvollerweise bestimmt, wenn aktiv ventilierte Daten verwendet werden können).

Ein Tagesmaximum von unter -10 °C wurde letztmals am 25. Januar registriert. In den kommenden Tagen scheint eine Wiederholung recht unwahrscheinlich zu sein…

Literatur

Lareau, Neil P., Erik Crosman, C. David Whiteman, John D. Horel, Sebastian W. Hoch, William O. J. Brown, and Thomas W. Horst. 2013. “The Persistent Cold-Air Pool Study.” Bulletin of the American Meteorological Society 94 (1): 51–63. https://doi.org/10.1175/BAMS-D-11-00255.1.

Copy&Paste-Wetter – jedenfalls fast…

Während mehreren Tagen lag nun ein Hoch über Mittel- und Südeuropa und bescherte dem Alpenraum prächtiges Herbstwetter. In den Aussichten der Wetterberichte fanden sich Formulierungen wie “In den Niederungen am Morgen einzelne Nebelfelder. Ansonsten sonnig und vor allem in der Höhe sehr mild.”, welche mit kleineren Variationen täglich wiederholt wurden – Copy&Paste-Wetter eben (auch wenn diese Bezeichnung der Arbeit der Prognostiker nicht gerecht wird).

In der Zwischenzeit hat sich das Hoch unter Abschwächung langsam Richtung Südosteuropa verlagert und so sieht die Mittelfrist wieder etwas abwechslungsreicher aus.

Die Hochdrucklage hat den Kaltluftseen Gelegenheit für ein erstes Schaulaufen in dieser Saison geboten – und tatsächlich sieht der Temperaturverlauf in Hintergräppelen auf den ersten Blick Tag für Tag sehr ähnlich aus:

Zur besseren Veranschaulichung werden die sechs Temperaturverläufe für den Zeitraum von 08:00 Uhr bis um 08:00 des Folgetages übereinander gelegt:

Am 13. Oktober ging die Sonne um 07:38 Uhr auf und um 18:39 Uhr wieder unter, am 18. Oktober war der Sonnenaufgang um 07:46 Uhr und Sonnenuntergang erfolgte um 18:30 Uhr (Quelle: https://www.calsky.com/). Diese Werte beziehen sich auf einen mathematischen Horizont, sind also nicht um das Relief korrigiert. Die tatsächlichen Zeiten für Sonnenauf- bzw. -untergang verschieben sich also noch weiter nach hinten bzw. vorne.

Ergänzend zur Temperatur ist für die Diskussion hier noch der Verlauf der Luftfeuchtigkeit dargestellt:

Die folgenden Punkte fallen im momentan charakteristischen Temperaturverlauf von Hintergräppelen auf:

  • In einer ersten Phase nach Sonnenaufgang erwärmt sich die Luft in der Senke nur langsam. Es werden Temperaturänderungsraten von 0.1 – 0.3 Grad / 10 Minuten registriert. In dieser Phase ist die Luft (fast) gesättigt. Zwar fehlen entsprechende Beobachtungen, es ist jedoch davon auszugehen, dass in der Senke Nebel oder zumindest Nebelschwaden auftreten und Reif zu beobachten ist.
  • Ab 09:30 bis 09:50 Uhr steigen die Temperaturen rasant an. Typische Änderungsraten betragen nun 1 Grad pro 10 Minuten und mehr. Innerhalb einer Stunde betragen die Änderungen bis zu 10 Grad, innerhalb von 3 Stunden je nach Tag 17 bis fast 23 Grad. Nachdem Luft zuvor gesättigt war, fällt die Luftfeuchtigkeit nun im gleichen Mass schnell und stark ab wie die Temperatur ansteigt.
  • Für den Sprung im Temperaturverlauf kurz vor 10 Uhr gibt es zwei Erklärungsansätze: Mit dem Sonnenaufgang über dem Relief werden graduell mehr Gebietsanteile bestrahlt und können die darüber liegende Luft erwärmen. Die maximale Besonnung der Senke wird erst nach einer gewissen Zeit erreicht. Zudem benötigt die Auflösung des Nebels Energie (Verdunstungskälte): Die einfallende Strahlung kann nicht voll umfänglich in den Temperaturanstieg umgesetzt werden, sondern muss in einer ersten Phase für den Phasenübergang flüssig – gasförmig aufgewendet werden.
  • Kurz vor 12 Uhr beginnt eine Abflachung im Temperaturanstieg, bevor um zwischen 12:30 und 13:00 Uhr ein erstes Maximum erreicht wird.
  • An allen Tagen wird um 13:40 Uhr ein sekundäres Minimum im Temperaturverlauf beobachtet. Das untenstehende Sonnenstandsdiagramm zeigt den Verschnitt der Sonnenbahnen pro Monat mit der Horizontlinie, welche aus einem satellitenbasierten Höhenmodell mit einer Auflösung von ca. 90 m (SRTM90) abgeleitet wurde. Gemäss dieser Darstellung ragt der im Süden gelegene Schwendigrat im Oktober gerade eben nicht in die Sonnenbahn. In Realität dürfte das wohl falsch sein: Die Horizontlinie ist aufgrund der verwendeten Eingangsdaten generalisiert und eher zu tief, zudem ist der Bergrücken bewaldet. Ohne den Sachverhalt vor Ort überprüft zu haben kann vermutet werden, dass eine Abschattung zu diesem Temperaturrückgang führt.
  • Das Tagesminimum wurde an fünf der sechs betrachteten Tage kurz nach 14 Uhr erreicht. Hier ist nochmals zu erwähnen, dass die Real Time-Messung nicht ventiliert ist und bei Windstille ein Strahlungsfehler von mehreren Grad auftreten kann. Es wird interessant sein, die Messwerte mit denjenigen des ventilierten Sensors zu vergleichen.
  • Kurz nach dem Tageshöchstwert sinkt die Temperatur rasch um 2 – 3 Grad ab.
  • Zwischen etwa 15 Uhr und 17:30 Uhr werden durch den sinkenden Sonnenstand graduell immer grössere Anteile des Einzugsgebiets abgeschattet. In diesen Bereichen wird die Strahlungsbilanz negativ und durch die Auskühlung des Bodens kommt hier die Produktion von Kaltluft langsam in Gang.
  • Nachdem nach 17:30 die Sonneneinstrahlung komplett weg gefallen ist, sinkt die Temperatur rasant mit Raten von -1.5 bis 2 Grad pro 10 Minuten bzw. 6 bis 8 Grad pro Stunde ab. Es fällt auf, dass der Temperaturverlauf zwischen etwa 17:30 Uhr und 19 Uhr an allen betrachteten Tagen sehr ähnlich verläuft. Besonders im Vergleich mit dem Temperaturverlauf im ansteigenden Ast am Morgen ist die Phasenverschiebung viel kleiner.
  • Nach 19:30 flacht der Temperaturrückgang merklich ab: Die Abstrahlung lässt durch die sinkende Temperatur der Oberflächen nach. Hinzu kommt, dass zwischen 19:30 und 20 Uhr die Lufttemperatur in die Nähe des Taupunktes kommt oder ihn sogar erreicht: Die Bildung von Nebel bzw. die Ablagerung von Tau bzw. Reif setzt ein und dadurch wird Kondensationswärme freigesetzt. Durch die Deposition des Wassers wird dieses der Luft entzogen und somit kann die Temperatur trotzdem weiter absinken – wenn auch nicht so schnell wie zuvor.
  • Charakteristisch für diese Phase ist zudem eine stärker werdende Fluktuation des Temperaturverlaufes. Ohne die Messung zusätzlicher Parameter ist eine Interpretation schwierig: Ist es nur der Nebel, welcher etwas hin und her suppt – oder findet eine turbulente Durchmischung durch von den Hängen abfliessende Kaltluft statt (welche allerdings in der Phase der stärksten Abkühlung ausgeprägter sein müsste)?
  • Wird die Luft komplett gesättigt (teilweise werden Werte für die Luftfeuchtigkeit von >100 % registriert – wobei unklar ist, inwiefern tatsächlich eine Übersättigung stattfindet und inwiefern allenfalls ein Messfehler zu diesen Werten führt), so kann im weiteren Verlauf der Nacht ein Temperaturrückgang von weiteren 3 – 4 Grad erfolgen. In Nächten, in welchen die Luftfeuchtigkeit stärker fluktuiert und Sättigung nur zeitweise erreicht wird, kann dieser Rückgang 5 – 6 Grad betragen.
  • Der Tiefstwert der Temperatur wurde an den betrachteten Tagen zwischen 7 und 8 Uhr am Morgen erreicht und betrug jeweils zwischen -3 und -6 °C. Verläuft die kommende Nacht störungsfrei (kein Wind, keine aufziehende Bewölkung), so dürfte ein noch tieferes Minimum registriert werden.

Im Vergleich mit anderen Senken im Jura bzw. in den Südalpen sind die momentanen Tiefstwerte in Hintergräppelen noch nicht allzu spektakulär. Mit dem Ried auf dem Boden der Senke ist ein grosses Feuchtigkeitsangebot vorhanden, welches sich dämpfend auf die Minima auswirkt. In trockenen Senken kann die Temperatur noch wesentlich tiefer fallen: In der Doline von Campoluzzo (IT / Veneto, 1770m) wurden in den vergangenen Tagen bereits regelmässig Werte von unter -10 °C registriert (vgl. http://www.arpa.veneto.it/bollettini/meteo60gg/Staz_501.htm). Sobald in Hintergräppelen Schnee liegt, fällt dieser Nachteil weg und die Karten werden neu gemischt…

 

Echtzeitdaten von der kältesten Stelle der Nordostschweiz

Im Riet, der grossen Senke auf der Alp Hintergräppelen wurde im vergangenen Winter ein Tiefstwert von -38.2 °C gemessen. Damit war es hier mindestens in diesem Jahr kälter als auf der Glattalp oder in La Brévine. Mit grosser Wahrscheinlichkeit handelt es sich hier um den kältesten Ort in der Nordostschweiz. Seit September des letzten Jahres werden an diesem Ort regelmässige Messungen durchgeführt. Eine Übertragung der Messungen fehlte jedoch bisher – an spannenden Tagen fehlte eine zeitnahe Information.

Nun wurde die Messstation für eine Versuchsphase bis Ende Februar 2018 mit einem Messgerät der Firma Decentlab ergänzt. Dieses misst alle 10 Minuten die Lufttemperatur sowie die relative Luftfeuchtigkeit und übermittelt die anfallenden Daten in Echtzeit:

Das Gerät zeichnet sich durch einen sehr niedrigen Energieverbrauch aus und nutzt für die Übermittlung das Low Power Network der Swisscom. Dieses Netz ist speziell für die Kommunikation zwischen Geräten ausgelegt (Stichwort: Internet der Dinge).

Mit diesem bis Ende Februar 2018 angelegten Versuch sollen erste Erfahrungen gesammelt werden: Wie zuverlässig ist die LPN-Verbindung an diesem Standort? Arbeitet das Gerät bis zum spezifizierten Einsatzbereich von -40 °C – oder sogar darüber hinaus?

Eine Fortsetzung der Echtzeitübertragung ab März 2018 hängt vor allem auch von der Finanzierung ab – Beiträge zur Unterstützung sind willkommen!

Mehr Infos: Hintergräppelen – aktuelle Messwerte

Tropennacht am Sämtisersee knapp verfehlt

Fällt die Temperatur zwischen 18 UTC und 06 UTC des Folgetages nicht unter 20 °C, so wird in der Meteorologie von einer Tropennacht gesprochen (vgl. Wetterlexikon Deutscher Wetterdienst). Im Mittel treten in der Schweiz 0.1 bis 1 Tropennacht pro Jahr auf. Eine Ausnahme bilden die Niederungen des Tessins , die Genferseeregion sowie einige Föhntälern (vgl. auch Fachbericht MeteoSchweiz Nr. 260: Der Hitzesommer 2015 in der Schweiz). Hier treten Tropennächte häufiger auf, im Tessin sind es in den tiefgelegenen Regionen im Schnitt bis zu 10 Stück pro Jahr.

In der jüngeren Vergangenheit wurden diese Durchschnittswerte in zwei Jahren deutlich übertroffen:

  • Im Hitzesommer 2003 wurden im Tessin zum Teil über 40 Tropennächte registriert, in der Genferseeregion gab es 20 Fälle, in der Nordwestschweiz (Fahy, Basel) 5 Fälle und in erhöhten Lagen des Mittellandes und der Voralpen zwischen 7 und 12 Fälle.
  • 2015 war der zweitwärmste Sommer seit Beginn systematischer Wetteraufzeichnungen im Jahr 1864. Während im Tessin deutlich weniger Tropennächte registriert wurden als 2003, traten solche in den Niederungen der Alpennordseite häufiger auf. So wurden in Zürich 2003 nur 2 Tropennächte registriert, im Jahr 2015 jedoch deren 8.

Wie sich die Situation in den Kaltluftseen im Alpstein in diesen Jahren bezüglich der nächtlichen Minima präsentiert hat, ist mangels entsprechender Messungen nicht bekannt. Man könnte jedoch davon ausgehen, dass man lauen Sommernächten in einem Kaltluftsee Abkühlung findet (es sei denn, der Föhn bläst – aber das ist ein anderes Thema…).

Dass dem nicht so ist, hat der vergangene Juni gezeigt. Es war der zweitwärmste Juni seit Beginn der systematischen Aufzeichnungen im Jahr 1864. Der Wärmeüberschuss betrug in allen Höhenlagen 3 – 3.5 °C gegenüber der Referenzperiode 1981 – 2010 (vgl. MeteoSchweiz: Klimabulletin Juni 2017).

Ungewöhnlich warm war die Nacht vom 22. auf den 23. Juni. An verschiedenen Orten wurde das höchste Nachtminimum seit Beginn der automatischen Messungen Anfang der 1980er Jahre registriert. Besonders in der Ostschweiz war es sehr mild: In Güttingen wurde ein Minimum von 25.2 °C, in St. Gallen sank die Temperatur nicht unter 23.2 °C ab und auf dem Hörnli wurden 20.5 °C als Tiefstwert registriert. Verhältnismässig kühl war es in Ebnat-Kappel, wo “nur” 17.1 °C gemessen wurde.

Neben der ausserordentlich warmen Luftmasse waren Wolkenfelder über der Ostschweiz, welche eine effiziente Abstrahlung verhinderten, für die ausserordentlich hohen Minimaltemperaturen verantwortlich. (vgl. auch MeteoSchweiz Blog vom 23.06.2017: Rekordhohe Nachttemperaturen).

Ansatzweise sind Wolkenfelder über der Schweiz erkennbar, welche zusammen mit der sehr warmen Luftmasse für rekordhohe Minima der Lufttemperatur gesorgt haben. (c) sat24.com / Eumetsat / UK MetOffice
Die nachfolgende Abbildung zeigt den Temperaturverlauf am Sämtisersee (gelb), an erhöhter Lage am Rand der Senke der Alp Sämtis (orange) sowie in der Senke auf der Alp Hintergräppelen (blau).

Transparent rot ist der Zeitraum zwischen 18 und 06 UTC dargestellt, welcher gemäss Definition des DWD relevant für die Bestimmung einer Tropennacht ist, der Schwellwert von 20 °C ist als rote Linie eingezeichnet.

Auf der Alp Hintergräppelen herrschten zwischen 19 UTC (entspricht 21 Uhr MESZ) und 21:30 UTC offenbar gute Abstrahlungsbedingungen, welche die Temperatur um mehr als 7 K auf 14.9 °C absinken liess. In diesem Zeitfenster hat der Kaltluftsee gut funktioniert, bevor die Temperatur anschliessend innerhalb einer Stunde wieder um mehr als 6 Grad anstieg. In der zweiten Nachthälfte sank die Temperatur zwischenzeitlich nochmals auf 18.9 °C.

Am Sämtisersee waren die Abstrahlungsverhältnisse vor Mitternacht weniger gut ausgeprägt: Es bildet sich nur kurzzeitig eine Inversion von gut 2 K aus: Die Temperatur unten in der Senke fällt knapp unter die 20 °C-Marke ab, steigt aber umgehend wieder an. Im weiteren Verlauf der Nacht sinkt die Temperatur kurz vor 4 UTC (entspricht 6 Uhr MESZ) nochmals kurzzeitig auf 18.8 °C ab.

Stark bewölkter Himmel über dem Alpstein kurz vor 6 Uhr am Morgen des 23. Juni 2013. Zu diesem Zeitpunkt wurde am Sämtisersee der nächtliche Tiefstwert von 18.8 °C gemessen – eine Tropennacht wurde knapp verfehlt. © Bild: www.hoherkasten.ch / www.plattenboedeli.ch
Auch wenn der Juni durch sehr hohe Temperaturen geprägt war, Abkühlung liess sich zum richtigen Zeitpunkt dennoch finden: In der Nacht vom 7. auf den 8. Juni sank die Temperatur am Sämtisersee auf + 1.2 °C ab und auf der Alp Hintergräppelen wurde in der gleichen Nacht ein ordentlicher Frost von -4.5 °C registriert.

 

Die Folgen des Aprilwinters?

Der Frühling hat nun definitiv Einzug gehalten und die Spuren dieses hartnäckigen Aprilwinters bis in grössere Höhen hinauf getilgt. Mit einer Ausnahme – dazu mehr am Ende dieses Artikels.

Sämtisersee

Am vergangenen Auffahrtsmorgen zeigte er sich von seiner schönsten Seite. Ein Schauer in der Nacht verhinderte eine stärkere Abkühlung und feuchtete zusammen mit dem Sämtisersee die Luft an, was zur Bildung von einzelnen Nebelschwaden führte:

Nebelschwaden über dem Sämtisersee

Bei einer Lufttemperatur von gut 9 °C, Windstille und einer intensiven Sonnenstrahlung liess es sich im T-Shirt bestens aushalten.

Noch vor etwas mehr als einem Monat wäre dieses Outfit nicht wirklich angebracht gewesen. Am Sämtisersee lag eine dicke Schneedecke und am Morgen des 21. Aprils war zum letzten Mal in dieser Saison die partielle Ausbildung einer Eisschicht zu beobachten:

Eisschicht auf dem unteren rechten Drittel des Sämtisersees am Morgen des 21. April 2017

Zuvor war der Sämtisersee am 23. März ein erstes Mal komplett eisfrei, nachdem die Eisdecke am 4. März grossflächig aufgebrochen war. Der Schneefall vom 7. März sowie die nachfolgende kalte Nacht, welche das Monatsminimum von -13.3 °C gebracht hat, lieferten die Voraussetzungen, dass der See nochmals kurz zufror.

Insgesamt war der März am Sämtisersee ausserordentlich mild. An keinem einzigen Tag blieb die Temperatur ganztags unter 0 °C, an immerhin 19 Tagen wurden Minimaltemperaturen von unter 0 °C verzeichnet.

Der April knüpfte temperaturmässig dort an, wo der März aufgehört hatte – allerdings nur bis zur Monatsmitte, dann kam der Winter mit aller Macht zurück. Die 20 Frostwechseltage sind dabei weniger erstaunlich als die Tatsache, dass die vier Eistage allesamt in der zweiten Monatshälfte zu verzeichnen waren. Das Monatsminimum von -13.5 °C war um 0.2 K tiefer als dasjenige vom März und dass die monatliche Durchschnittstemperatur um ganze 1.1 K tiefer als im Vormonat lag, dürfte aussergewöhnlich sein.

Im bald zu Ende gehenden Mai gab es bisher noch 5 Tage mit Luftfrösten (letztmals am 20. Mai). Die Tagesmaxima lagen ab dem 10. Mai regelmässig über 15 °C, am 17. Mai wurde erstmals in diesem Jahr die 20 °C-Marke erreicht.

Hintergräppelen

Im Kaltluftsee auf der Alp Hintergräppelen lag das Monatsmittel im März gut 2 K tiefer als am Sämtisersee. Am 7. März gab es den einzigen Eistag des Monates und am darauffolgenden Morgen wurde das Monatsminimum von -20.0 °C registriert. An zwei weiteren Tagen traten Minima von unter -10 °C auf.

Wie auch am Sämtisersee war die Temperaturentwicklung im April absolut ungewöhnlich. Üblicherweise ist im März und im April durch die Einstrahlung bedingt eine starke Zunahme der Temperatur zu beobachten, einzelne Kälterückfälle können immer wieder beobachtet werden. Ausmass und Dauer der Kälteperiode in der zweiten Aprilhälfte dürften jedoch – auch ohne, dass Vergleichswerte aus dem Gebiet vorliegen – aussergewöhnlich sein. Die Monatsmitteltemperatur lag um 0.3 K tiefer als diejenige vom März. Das Monatsminimum von -27.3 °C sowie fünf weitere Tage mit Minima von unter -10 °C traten allesamt in der zweiten Monatshälfte auf:

Während am Sämtisersee im zu Ende gehenden Mai noch 5 Frosttage registriert wurden, waren es in Hintergräppelen 16 Tage mit Luftfrost (Stichtag: 25. Mai):

Zum Schluss eine Beobachtung aus dem Kaltluftsee der Alp Hintergräppelen: Die meisten Fichten in der Senke weisen eine starke bis komplette Rotverfärbung der Nadeln auf und  teilweise sind die verfärbten Nadeln bereits abgefallen. Die Obergrenze dieser Rotverfärbung fällt ungefähr mit dem oberen Rand der Senke zusammen.

Am plausibelsten erscheinen mir die Erklärungen, welche in der Publikation von aufgeführt sind:

  • Die Frosthärte der Fichte unterliegt einer jahreszeitlichen Schwankung, die kritische Temperatur liegt zwischen -5 und -37 °C.
  • Bereits nach einigen warmen Tagen im Winter beginnt die Enthärtung, die Bäume werden gegenüber Kälteeinbrüchen verwundbar.
  • Je nach Stärke der Frosteinwirkung sind nur die Nadelspitzen des jüngsten Nadeljahrgangs betroffen, bei starken Einwirkungen kann die gesamte Krone betroffen sein.
  • Prinzipiell wird zwischen drei Schädigungsformen unterschieden:
    • Erfrierungsschäden treten auf, wenn die Temperatur unter die aktuelle Frosthärte der Fichte absinkt.
    • Frostwechselschäden treten bei häufigem Auftauen und Wiedergefrieren auf, die Folgen sind mit denjenigen bei tiefen Temperaturen vergleichbar.
    • Frosttrocknis tritt auf, wenn wegen starker Sonneneinstrahlung die Fichte über die Krone Wasser verdunstet, während der gefrorene Boden das Defizit nicht ausgleichen kann.
  • Nadelverrötungen treten im Schnitt alle 10 Jahre auf, das letzte grössere Ereignis wurde im  Winter 1986/87 in der Zentral- und Ostschweiz registriert.
  • So dramatisch das Schadensbild aussieht: Die Bäume haben eine erstaunliche Regenerationsfähigkeit und erholen sich in den Folgejahren, nur verhältnismässig wenige Bäume sterben ab. Die Schwächung macht die Bäume jedoch anfällig auf Borkenkäferbefall.

Zwischen dem 17. März und dem 18. April wurden auf der Alp Hintergräppelen keine Temperaturen mehr unter -10 °C registriert. Zwar traten starke tägliche Temperaturschwankungen auf: Frostwechseltage mit z.T. mehr als 20 K Temperaturdifferenz sind jedoch in den Übergangsjahreszeiten in einem ausgeprägten Kaltluftsee keine aussergewöhnlichen Erscheinungen, vermutlich sind die Bäume diese Schwankungen gewohnt. Der plötzliche Kälteeinbruch, welcher die Temperatur auf bis zu -27.3 °C absinken liess (vgl. auch Es lächelt der Kaltluftsee, er ladet zum Bade…) und die gleichzeitig starke Sonnenstrahlung dürften wahrscheinliche Gründe für die Nadelverrötung sein.

Als forstkundlich nur mässig bewanderter Zeitgenosse bin ich für Präzisierungen und Berichtigungen dankbar!

Literatur:

Engesser, Roland, Beat Forster, and Werner Landolt. 2002. “Frostschäden an Nadelbäumen Im Winter 2001/2002 Und Deren Folgen | Frost Damage to Conifers in Winter 2001/2002 and Its Influence on Tree Development.” Schweizerische Zeitschrift Fur Forstwesen 153 (12): 471–75. https://doi.org/10.3188/szf.2002.0471.

 

 

 

Es lächelt der Kaltluftsee, er ladet zum Bade…

Was für eine Saisondernière! Nachdem seit Februar mehr oder weniger konstant Temperaturen registriert wurden, welche zum Teil massiv über dem für die Jahreszeit üblichen Durchschnitt lagen, hat sich der Winter in weiten Teilen von Zentraleuropa nochmals mit aller Macht zurück gemeldet. Am 20. und 21. April 2017 wurden an einigen Orten langjährige Rekordwerte unterboten.

Weil die Jahreszeit schon einigermassen fortgeschritten ist (die Tageslänge entspricht derjenigen von Ende August), musste der gemeine Kälteliebhaber früh in die Strümpfe und im Frühreif zu Berge ziehen.

Von oben zeigt sich der Kaltluftsee von seiner besten Seite – ein kleines Nebelchen deutet an, dass es dort unten in der Senke nochmals massiv kälter sein muss als hier oben, ca. 50 m über dem Boden des Kessels:

Das folgende Video macht die Temperaturumkehr anschaulich:

Am oberen Rand der Senke betrug die Temperatur etwa -8 °C, am Boden des Talkessels konnten mit einem Handthermometer eher frische -21.4 °C registriert werden.

Und so sah der Nebelschleier von unten aus:

Die über den Horizont steigende Sonne briet den Nebelschleier innerhalb von Minuten förmlich weg.

An den Hängen waren typische Schmelzrinnen zu erkennen, welche sich durch die starke Sonneneinstrahlung am Vortag gebildet hatten:

An der festinstallierten Station wurde ein Minimum von -21.8 °C registriert. Am Vortag sank die Temperatur sogar auf -27.3 °C:

Weshalb war es am Vortag mehr als 5 Grad kälter? Zwei Gründe stehen im Vordergrund:

  • Die freie Atmosphäre hat sich etwas erwärmt: An der SMN-Station Hörnli wurde am 21. April ein Minimum von -3.6 °C gemessen, am Vortag waren es noch -6.0 °C
  • Die Setzung des Schnees hat die Isolationswirkung gegen den Bodenwärmestrom reduziert – die Regel, dass die erste klare Nacht nach einem Schneefallereignis die kälteste ist, hat sich wieder einmal bewahrheitet…

Noch ein kleines Detail am Rande: Die bisher höchste Temperatur in diesem Monat wurde am 9. mit 16.7 °C registriert, das bisherige Minimum wie erwähnt am 20. mit -27.3 °C. Das entspricht einer Amplitude von 44 K:

Monatstabelle Hintergräppelen April 2017

 

Im Januar 2017 war die Amplitude mit 44.1 K (Minimum -38.2 °C, Maximum 5.9 °C) praktisch gleich gross.

Schweizweit tiefste Temperaturen des Winters 2016/17 im Alpstein gemessen

Am 6. und 7. Januar 2017 wurden die tiefsten Temperaturen des zu Ende gehenden Winterhalbjahres gemessen. Zwei Stationen im Alpstein führen die Liste der kältesten Orte der Schweiz an.

Einfliessende arktische Kaltluft liess die Temperatur am Abend des 6. Januar 2017 auf der Alp Hintergräppelen im Obertoggenburg bis auf -38.2 °C sinken (vgl. -38.2 °C in Hintergräppelen – die Messlatte ist gesetzt und Endlich ist der Winter da!). In der gleichen Nacht wurde am Sämtisersee ein Minimalwert von -33.4 °C registriert.

Die Alp Hintergräppelen am Vormittag des 6. Januar 2017.
Auf der Alp Hintergräppelen wurden an 5 Tagen im Januar -30 °C erreicht oder unterschritten. Zum Vergleich: In La Brévine betrug der Tiefstwert dieses Winters -29.9 °C.

Gleich kalt wie am Sämtisersee wurde es auf der Glattalp im Kanton Schwyz. In der Combe des Amburnex im Waadtländer Jura war es mit -33.0 °C nur unwesentlich wärmer. La Brévine, die kälteste bewohnte Ortschaft der Schweiz, hat die Marke von -30 °C knapp verfehlt.

In den Hochlagen der Berner und Walliser Alpen wurden die tiefsten Temperaturen am 17. Januar gemessen. Ein Vorstoss hochreichender Polarluft führte auf dem Kleinen Matterhorn zu einem Tiefstwert von -30.2 °C, auf dem Jungfraujoch wurden -27.6 °C gemessen.

Die Spitzenreiter aus den Messnetzen von kaltluftseen.ch, Agrometeo, MeteoSchweiz und MeteoGroup sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt:

TiefstwertMessortDatumMessnetzbetreiber
-38.2 °CHintergräppelen / SG6.1.2017www.kaltluftseen.ch
-33.4 °CSämtisersee / AI7.1.2017www.kaltluftseen.ch
-33.4 °CGlattalp / SZ6.1.2017MeteoGroup
-33.0 °CCombe des Amburnex / VD6.1.2017Agrometeo
-30.2 °CKl. Matterhorn / VS17.1.2017MeteoGroup
-29.9 °CLa Brévine / NE6.1.2017MeteoSchweiz
-27.6 °CJungfraujoch / VS17.1.2017MeteoSchweiz
-26.9 °CGais / AR7.1.2017MeteoGroup
-26.9 °CCorvatsch / GR6.1.2017MeteoSchweiz
-26.2 °CSamedan / GR 7.1.2017MeteoSchweiz
-25.9 °CBuffalora / GR7.1.2017MeteoSchweiz
-25.2 °CRothenthurm / SZ7.1.2017MeteoGroup

 

Der Föhn: Ein häufiger Spielverderber am Sämtisersee

Föhn und Kaltluftseen vertragen sich etwa so gut wie dies sprichwörtlich Hund und Katze tun. Mein Eindruck ist subjektiv (entsprechende Messungen fehlen), aber eindeutig: Am Sämtisersee hat der Kaltluftsee eigentlich keinen Stich gegen den Föhn, wenn er (und das tut er oft) vom Rheintal her mit Macht über die Stauberenkette drängt, bei der Saxerlücke sein grösstes Einfalltor findet und dann der Talachse entlang durch die Alp Sämtis pfeift.

Bei meiner vorletzten Auslesung der Datenlogger am 20. November 2016 sah das so aus (unbedingt mit Ton anschauen!):

Mangels Messungen darf spekuliert werden: Ein Mittelwind von 7 Bft (50 – 61 km/h)  würde ich als absolute Untergrenze annehmen, vermutlich war die Windgeschwindigkeit noch höher.

Betrachten wir den Temperaturverlauf am Sämtisersee (blaue Kurve = Station unten in der Senke, orange Kurve = Nebenstation auf Höhe des Überlaufpunktes) und auf der Alp Hintergräppelen (graue Kurve = Station unten in der Senke):

Am Abend des 19. Novembers 2016 beginnt sich am Sämtisersee ein Kaltluftsee auszubilden, die Inversion ist jedoch nur schwach. Kurz vor 20 Uhr UTC setzt Föhn ein, die Temperatur steigt markant an und die Inversion wird ausgeräumt.

Auf der Alp Hintergräppelen bricht der Föhn mit Verzögerung durch. Das Temperaturniveau ist mit demjenigen vom oberen Rand am Sämtisersee vergleichbar, was mit der ähnlichen Höhenlage korrespondiert. Auffällig sind die regelmässigen Ausreisser nach unten. Es scheint, als ob der Föhn hier nicht mit der gleichen Konstanz bläst und immer wieder schwächelt.

Die Föhnphase dauert bis zum Nachmittag des 25. Novembers, als eine Kaltfront die Temperatur innerhalb von 20 Minuten um 10 K absinken liess. Die Föhndauer von 137 Stunden ist sehr hoch (vgl. auch http://www.meteoschweiz.admin.ch/home/aktuell/meteoschweiz-blog.subpage.html/de/data/blogs/2016/11/immer-noch-foehn.html).

Einschränkend ist zu erwähnen, dass eine ausschliesslich über die Temperaturverhältnisse abgeleitete Definition von Föhn grob bis unzulässig vereinfachend ist. An der MeteoSchweiz wird ein automatisiertes Verfahren zur Bestimmung von Föhn angewendet, welches als Eingangsgrössen Stationsdaten von Windgeschwindigkeit, Böenspitzen, Windrichtung, relativer Luftfeuchtigkeit und potentieller Temperatur nutzt und diese Messwerte in Relation zu einer Referenzstation (Gütsch) setzt . Da diese Daten am Sämtisersee und auf Hintergräppelen jedoch nicht zur Verfügung stehen, ist eine Näherung auf der Basis der Temperaturverhältnisse die einzige Möglichkeit.

Noch eindrücklicher war die Situation bei der letzten Auslesung der Logger am 22. Januar 2017. Die Anreise zum Sämtisersee erfolgte am Abend des 21. Januars 2017. Am Parkplatz beim Pfannenstiel am Ausgang des Brüeltobels ergab eine Handmessung einen Wert von -11 °C. Der Himmel war sternenklar und es herrschte absolute Windstille. Oben beim Plattenbödeli wehte ein mässiger Föhn und vom Dach des Berggasthauses tropfte es… Die Auslesung am folgenden Morgen fand bei starkem Föhn und einer Temperatur von knapp +5 °C statt. Hier wiederum eine Filmsequenz von der Alp Sämtis:

Die Schneefahnen auf dem Saxerfirst und den Widderalpstöck zeigen die Richtung des Höhenwindes an, das Schneefegen am Talboden weist in die entgegengesetzte Richtung.

Wir springen nun 15 km Richtung WSW ins Gräppelental. Während der Fahrt von Brülisau nach Alt St. Johann sind wir unter die Inversion abgetaucht (-10 °C am Autothermometer im St. Galler Rheintal) und steigen anschliessend wieder aus der Nebelsuppe auf. Erste Feststellung beim Aussteigen aus dem Auto: Es ist praktisch windstill. Beim südexponierten Anstieg zur Risi ist der Schnee fast frühlingshaft sulzig, die Lufttemperatur liegt deutlich über 0 °C. Beim Übergang ins Gräppelental ändert sich die Hangexposition und pro Flächeneinheit erhält der Boden viel weniger Strahlung. Dies führt dazu, dass der Oberflächenrief auf der Schneedecke auch tagsüber erhalten bleibt:

Der Oberflächenreif ist darüber hinaus ein Indiz, dass hier der Föhn mindestens in der vorangehenden Nacht nicht geweht hat.

Die Lufttemperatur ist zwar noch positiv, es ist aber deutlich frischer als während des Aufstieges:

Unten in der Senke auf der Alp Hintergräppelen muss es noch einiges kälter sein: Während oben nur noch wenig Schnee auf den Bäumen liegt, sind sie unten in der Senke noch komplett weiss. Hier hat der Föhn in den vorangegangenen Tagen sicher nie geblasen:

Und tatsächlich, auf 40 m Höhendifferenz gibt es auch an diesem Tag einen Temperaturgradient von fast 16 K, die Inversion ist tagsüber noch voll ausgebildet:

Ein Blick vom Hochwinter in den Vorfrühling:

Die Auslesung des Datenloggers fördert erstaunliche Werte zutage:

Während am Sämtisersee am Morgen des 22. Januars der Föhn bei 5 Grad blies, lag hier die Kaltluft bei -28 °C bleischwer in der Senke… Auch an den Vortagen ist auf der Alp Hintergräppelen ein schön ausgeprägter Tagesgang zu beobachten. Der Föhneinsatz am Sämtisersee ist bemerkenswert: Der Temperaturanstieg beträgt 9.5 K in 10 min, 14.5 K in 20 min und 18.5 K in 50 min.

Ein Erklärungsansatz (der von Föhnexperten gerne korrigiert werden darf!) für die Föhnanfälligkeit des Sämtisersees  ist die Lage relativ zum Rheintal. Dessen Talachse ist bis in die Gegend von Buchs gegen die südliche Alpsteinkette gerichtet. Stauberenkette bzw. Furgglenfirst werden überströmt, vor allem bei der Saxerlücke (der am südwestlichsten gelegene kleine rote Pfeil) als niedrigstem Übergang. In der Senke der Alp Sämtis weht der Föhn dann häufig aus SW, er richtet sich auch hier entlang der Talachse aus.

Die Alp Hintergräppelen scheint dagegen eine deutlich geringere Föhnanfälligkeit aufzuweisen, sie liegt etwas ausserhalb des Föhn-Hotspots Rheintal.

Literatur

Dürr, Bruno. 2008. “Automatisiertes Verfahren Zur Bestimmung von Föhn in Alpentälern.” 223. Arbeitsbericht MeteoSchweiz. Zürich: Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie MeteoSchweiz. http://www.meteoschweiz.admin.ch/content/dam/meteoswiss/de/Ungebundene-Seiten/Publikationen/Fachberichte/doc/ab223.pdf.

Im oder über dem Kaltluftsee – wie gross ist der Unterschied?

Der Dezember 2016 war durch beständige Hochdrucklagen und damit einhergehend durch eine ausserordentliche Schneearmut geprägt (vgl. auch Klimabulletin Dezember 2016 von MeteoSchweiz). So sehr dieser Umstand Skifahrer und Skitourengänger leiden liess, so sehr durften sich Freunde von Natureisbahnen über Schwarzeis auf verschiedenen höher gelegenen Seen in den Alpen sowie im Jura freuen.

Die Kahlfröste führten überdies dazu, dass Kaltluftseen sichtbar gemacht wurden: Wo die Temperatur unter 0 °C sank und der Taupunkt erreicht wurde, setzte Reifbildung ein. Im Schatten überdauerte der Reif zum Teil mehrere Tage. Eines der schönsten Bilder stammt vom Fälensee und wurde von Christian Burth geschossen:

Von der Webcam auf dem Hohen Kasten gibt es eindrückliche Bilder des Sämtisersees. das untenstehende wurde am 10. Januar um 8 Uhr Lokalzeit aufgenommen:

Quelle: www.plattenboedeli.ch / www.hoherkasten.ch

Praktisch der gesamte Bereich des Kaltluftsees unterhalb der unteren Waldgrenze (diese ist nicht temperaturbedingt, sondern auf die Bewirtschaftung zurückzuführen) ist reifbedeckt. Eine Ausnahme bildet der von der Kamera aus gesehen obere rechte Bereich: Dieser erhält als einziger zu dieser Zeit im Jahr kurz direkte Sonneneinstrahlung, welche ausreicht, um den Reif zum Verschwinden zu bringen.

Wie gross ist der Temperaturunterschied zwischen dem Grund und dem oberen Rand des Kaltluftsees? Zum Zeitpunkt der Aufnahme wurden an der Station am Sämtisersee eine Temperatur von -6.6 °C gemessen. Eine kleine Nebenstation, welche am südlichen Rand des Kaltluftsees auf der Höhe des Überlaufpunktes liegt, hat zum gleichen Zeitpunkt eine Temperatur von 3.8 °C registriert: Auf 70 m Höhendifferenz resultierte also eine Temperaturdifferenz von 10.4 Grad.

Wie ist dieser Wert einzuordnen? Für den Zeitraum von Anfang Oktober bis zur letzten Auslesung der Logger am 22. Januar wurden die Temperaturunterschiede zwischen dem Grund und dem oberen Rand des Kaltluftsees am Sämtisersee ausgewertet und graphisch dargestellt. Hier das Beispiel für den Oktober 2016:

Zuerst eine Erklärung der Darstellung:

  • Auf der Y-Achse ist die Temperaturdifferenz aufgetragen. Ist die Temperatur unten kälter als oben, weist die Differenz ein negatives Vorzeichen auf. In diesem Fall liegt eine Inversion vor und der Kaltluftsee ist ausgeprägt – je negativer der Wert, desto stärker. Umgekehrt weist ein positives Vorzeichen auf durchmischte Verhältnisse hin.
  • Auf der X-Achse ist die Zeit an einem beliebigen Tag im entsprechenden Monat dargestellt.
  • Für jeden Zeitpunkt eines Tages gibt es so viele Werte, wie es Tage im Monat hat: Wir haben z.B. an jedem Tag im Monat Oktober um 12:00 einen Wert vorliegen, insgesamt 31 Stück.
  • Pro Zeitpunkt kann mit diesen 31 Werten nun etwas Statistik betrieben werden. Folgende Werte werden berechnet:
    • Das Minimum und das Maximum dieser 31 Werte,
    • Der Median (die Hälfte aller Werte ist grösser als der Median, die andere Hälfte ist tiefer)
    • Die 90 %-, 75 %-, 25 %- und 10 %-Quantile (10%-Quantil bedeutet z.B., dass 10 % aller Werte höher sind als dieser Wert)

Was können wir daraus ableiten? Es liegt nun für jeden Zeitpunkt im Tag eine Häufigkeitsverteilung vor und wir können die Charakteristik des Oktobers 2016 hinsichtlich der Temperaturdifferenzen in der Senke des Sämtisersees erfassen:

  • Das Maximum schwankt zwischen ca. 1 und 3 Grad: Diese Werte weisen auf den ersten Blick auf eine ausserordentlich labile Schichtung hin. Die nackten Zahlen sind jedoch zu interpretieren, vgl. weiter unten.
  • Die Schwankungen der 10 %- und der 25 %-Quantile sind recht homogen über den Tag verteilt. Um die Mittagszeit herum sowie in der Nacht sind die Werte leicht erhöht, am Vormittag zwischen 5 – 9 UTC und am Nachmittag 15 – 19 UTC sind die Werte stabiler. Die stabileren Phasen am Vor- bzw. Nachmittag fallen in die Zeit, in welcher üblicherweise die grössten Temperaturänderungen (Erwärmung am Morgen bzw. Abkühlung am Abend) zu beobachten sind.
  • Der Median liegt bei 0.6 °C (+-0.4 K)
  • Während die positiven Differenzen relativ eng geschart sind, gibt es bei den negativen Differenzen (für einen Kaltluftsee wenig überraschend) grössere Schwankungen.
  • Auffällig ist der deutliche Anstieg des Minimums und der 90%-Quantile um die Mittagszeit herum: Die noch relativ starke Sonneneinstrahlung vermochte eine allenfalls vorhandene Inversion in jedem Fall spätestens bis um 13 UTC aufzulösen.

Bei der Interpretation dieser Zahlen müssen jedoch folgende Punkte berücksichtigt werden:

  • bei der Nebenstation am oberen Rand des Kaltluftsees kommt aus Kostengründen eine andere Sensorik zum Einsatz als an der Hauptstation am Sämtisersee,
  • die Sensorik an der Nebenstation ist in einem passiv ventilierten Strahlungsschutz untergebracht, während dem die Hauptstation aktiv ventiliert wird,
  • die kleinräumige Variabilität ist nicht nur während ausgeprägten Inversionslagen sehr gross: in Föhnsituation wurden während Böen mit einem Handthermometer Temperatursprünge von 2 – 3 Grad in wenigen Sekunden registriert. Erfasst eine Föhnböe also nur die untere Station, so resultiert dies in einer sehr starken Temperaturabnahme mit der Höhe.

Für die Folgemonate werden nur noch die wichtigsten Punkte andiskutiert:

Im November ist der Bereich zwischen dem Maximum und dem Median recht vergleichbar mit dem Oktober. Inversionslagen werden jedoch langsam häufiger und die Auflösung erfolgt nur noch an knapp 3 von 4 Tagen. Das Minimum liegt leicht tiefer als im Oktober.

Im Dezember 2016 wurde die Inversion nur noch an ca. einem von vier Tagen aufgelöst. Die Inversion war (trotz fehlendem Schnee) deutlich intensiver ausgeprägt. Auch tagsüber traten regelmässig negative Temperaturdifferenzen von 5 Grad und mehr auf, die maximalen Differenzen nehmen Beträge von mehr als 10 Grad an – hier sei nochmals auf die Webcam-Aufnahme am Anfang des Beitrages hingewiesen.

Für den Januar 2017 flossen Werte bis zum 22. des Monats ein, die Auswertung ist daher provisorisch. Die Statistik wird massiv durch den Kaltlufteinbruch vom 6./7. Januar geprägt, wo am frühen Morgen des 7. Januar die bisher stärkste Inversion von 19.1 K registriert wurde. Dieser Wert ist beachtlich, aber im Vergleich mit Messungen von anderen Orten nicht ausserordentlich. Am Grünloch in Österreich wurden bereits Beträge von 30 K registriert.